Das Glück der Strafe

2.9.2014, 10:00 Uhr
Das Glück der Strafe

© Stefanie Hattel

Die einen sieht man einmal und nie wieder, andere scheinen Arbeitsauflagen regelrecht zu sammeln. Marianne Pickel, Pädagogin im Fachdienst für jugendrichterliche Weisungen und gemeinnützige Arbeit der Awo, zählt auf: „Unsere Klientel beginnt bei 14-jährigen Schulschwänzern, geht weiter über junge Gewalttäter bis hin zu der jungen Frau, die Hartz IV bezieht, wieder in Arbeit kommt und noch ein, zwei Mal Sozialleistungen bezieht, ohne sie zurückzuzahlen, oder dem 70-Jährigen, der Medikamente übers Internet bestellt, aber nicht bezahlt.“

Den Weg zur Awo weist ihnen das Gericht: In Forchheim ist die Awo neben Jugendamt und Staatsanwaltschaft der engste Kooperationspartner im Strafvollzug. In Absprache mit dem Richter vermitteln Pickel und ihr Kollege Dietmar Schuberth Einsatzstellen, manchmal auch zwei oder drei. Denn: „Vielen fällt es schwer durchzuhalten, sie haben eine geringe Frustrationstoleranz“, erklärt Sozialpädagoge Schuberth, der bis 2012 an Schulen auch Anti-Aggressions- und Sozial-Trainings gab. „Viele müssen erst einmal lernen, in Vor- oder Eigenleistung zu gehen“, beschreibt Pickel das Reifedefizit, das vor Gericht oft ausschlaggebend für eine Weisung zu gemeinnütziger Arbeit ist.

„Ressourcenorientiert befähigen und fordern“ lauten deshalb die Qualitätsstandards der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Fachstellen zur Vermittlung gemeinnütziger Arbeit (AGV), der auch der Awo-Fachdienst angehört. Die Frage laute immer: Wo steht der? Was will der? Wie geht’s ihm? Was kann jemand im Augenblick leisten und: Was ist die Motivation für sein Verhalten?, erklärt Schuberth. Aufgabe sei es, problembeladene Lebensbereiche zu ordnen, „aufzuräumen“, wie er sagt. Die Sozialstunden selbst bedeuten oft, „sich die Finger dreckig machen“, sagt Pickel, bei der Stadtförsterei, im Bauhof, in Kindergärten und Pflegeheimen. „Manche stellen sich vor, sie können im Altenheim vorlesen“, erzählt Pickel. Doch so einfach sei es nicht. Eingesetzt würden die Betroffenen für Hilfstätigkeiten, etwa die Spülküche vorbereiten, sagt Pickel. Sie ergänzt: „Welche junge Frau mit 18 Jahren räumt schon gern die Essensreste vom Teller?“

So gesehen hat die junge Mutter, Anfang 20, die wegen Körperverletzung zu 60 Stunden angewiesen wurde, Glück gehabt. Pickel vermittelte sie an den Kinderschutzbund, in die Kurzzeitbetreuung Ein- bis Dreijähriger. Ihr Baby durfte sie mitnehmen. Das hat der Alleinerziehenden imponiert. „Dass ich Sozialstunden bekommen habe, ist nicht so schlimm, auch wenn ich unschuldig war. Ich arbeite gern mit Kindern“, sagt sie und erzählt, wie die größeren Kinder ihr Baby wie selbstverständlich ins Spiel miteinbezogen, ihm die Spieluhr aufzogen oder es in Schlaf wiegten. Drei Stunden täglich ging sie den Erzieherinnen zur Hand. Am Ende hat sie sogar den Babysitter-Kurs des Kinderschutzbunds absolviert.

Der letzte Ausweg

Oft sind Sozialstunden der letzte Ausweg. Wie bei dem 55-jährigen Freiberufler, der sich nach der Trennung von seiner Frau zu Hause verkroch, Aufträge verspielte, sich eine Räumungsklage einhandelte. Inzwischen lebt er in der Übergangsunterkunft im Eggolsheimer Weg. Er, der mit Aufträgen aus der freien Wirtschaft einst gutes Geld verdiente, einen gewissen Standard pflegte. Dass er irgendwann alkoholisiert am Steuer aufgegriffen wurde, war da fast schon Glück. Endlich geriet er wieder jemandem in den Blick — und sei’s der Polizei.

Sein Ordnungsgeld arbeitet er ab: 80 Stunden beim Arbeiter-SamariterBund, als Hausmeister-Gehilfe. Seitdem hat der Tag wieder Struktur: „Ich hab’ gleich eine 30-Stunden-Woche vereinbart“, erzählt er. Was er am dringendsten braucht — ein Einkommen — bringt es ihm nicht. Aber immerhin erweitert sich sein Bekanntenkreis. Denn persönliche Kontakte helfen am schnellsten wieder auf, weiß Pickel.

Zur Sache

„Schwitzen statt Sitzen“ lautet das Motto des Fachdienstes der Arbeiterwohlfahrt zur Vermittlung in gemeinnützige Arbeit. Bei Jugendlichen gelten Sozialstunden als „Erziehungsmaßregeln“, die Eigenverantwortlichkeit, Tagesstruktur und Lebensplanung fördern sollen. Erwachsene leisten den Arbeitsdienst als Bewährungsauflage, Haftersatzstrafe oder um eine Geldstrafe abzuarbeiten. 2013 wurden 147 Jugendliche und Heranwachsende und 29 Erwachsene zu gemeinnütziger Arbeit angewiesen. Im Schnitt arbeitete jeder Jugendliche 35 Stunden, jeder Erwachsene rund 130 Stunden. Der Fachdienst finanziert sich über zugewiesene Geldbußen und erhält Haft-Tagessätze, die so vermieden werden, anteilig ausgezahlt.

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