Der Eremit haust in knorrigen Kopfeichen

17.10.2010, 12:03 Uhr
Der Eremit haust in knorrigen Kopfeichen

© Ralf Rödel

Die Sonne hat sich ihren Weg durch den Morgennebel gebahnt und die hügelige Landschaft mit ihren frisch gepflügten Feldern, den Pferden auf den Wiesen und den alten Obstbäumen erstrahlt in einem herrlichen Licht. Hier rund um den Hetzleser Berg gedeihen noch etwa 1000 Kopfeichen, die jetzt im Mittelpunkt des neuen Projektes „Kultur- und Naturlandschaft mit Kopfeichen am Hetzleser Berg“ stehen, das gestern offiziell von Staatssekretärin Melanie Huml gestartet wurde.

Bis zu 400 Jahre alt

Die knorrigen, zum Teil bis zu 400 Jahre alten Eichen sind Zeugen längst vergangener Zeiten. Sie wurden früher — etwa zwischen 1850 bis 1950 — regelmäßig geschnitten, um aus der stark gerbsäurehaltigen Rinde Lohe zu gewinnen, die zum Gerben von Leder nötig war. Zu diesem Zweck wurden die Äste der Eichen in einer Höhe von rund vier Metern abgesägt, die Rinde abgeschält, getrocknet, dann zerhackt und in einer Lohmühle zu Lohmehl verarbeitet. In den Gerbereien wurde das Lohmehl in Fässern oder Gruben mit Wasser vermischt. In diesem Sud wurden dann die Häute von Rindern, Schafen, Ziegen monatelang eingelegt. Danach erst konnte das Leder weiterverarbeitet werden, wie der Diplom-Biologe Andreas Niedling und Diplom-Geograph Leonhard Anwander vom Landschaftspflegeverband Forchheim erzählen, die beide das neue Projekt betreuen.

Viel Leder hatte einst auch zum Beispiel der Forchheimer Betrieb „Weber & Ott“ für seine Webstühle benötigt, denn deren beweglichen Teile waren nahezu alle aus Leder. „Man brauchte eine halbe Rindshaut pro Monat und Webstuhl“, erläutert Anwander. Dieser hohe Verbrauch an Leder ist vermutlich auch der Grund, warum im südlichen Landkreis Forchheim so viele Kopfeichen wachsen.

Im Rahmen des neuen Projektes sollen die alten Eichen so wie früher wieder regelmäßig zurückgeschnitten werden — natürlich nur, wenn deren Besitzer damit einverstanden sind. Diese Maßnahme ist allerdings sehr sinnvoll, erläutert Leonhard Anwander, denn werden die Bäume nicht gestutzt, drohen die aus dem alten Stamm herausgewachsenen, dann viel zu großen Äste, abzubrechen und an dieser schweren „Verletzung“ können die alten Eichen dann auch leicht kaputt zu gehen. Deswegen hoffen beide Projektbetreuer, dass sich möglichst viele Kopfeichenbesitzer zur Pflegemaßnahme entschließen (siehe auch „Zur Sache“).

Doch nicht nur wegen der einstigen Loheproduktion sollen die alten Kopfeichen erhalten werden, sondern auch weil sie Lebensraum von zahllosen, zum Teil sehr seltenen Tierarten sind. „So nutzen eine einzige alte Kopfeiche etwa rund 150 Käfer- und 150 Schmetterlingsarten“, macht Anwander klar. Ein inzwischen stark gefährdetes Exemplar ist der Eremit, dessen Bestand nun mit Hilfe des Projektes gesichert werden soll.

Die Gegend zwischen Neunkirchen, Hetzles, Effeltrich und Kunreuth gilt als die bayernweit größte Fundstelle des Eremiten. Der Geograph zeigt am Feldweg oberhalb von Gaiganz, wo der Käfer lebt: An den Schnittstellen der Kopfeichen bilden sich so genannte Mulmhöhlen, darin fühlt sich der Eremit sehr wohl. „Er nagt von innen die Randbereiche ab“, erläutert Anwander. Der seltene Käfer ist standorttreu, fliegt höchstens 500 Meter weit und haust über viele Generationen, möglicherweise über 100 Jahre, im gleichen Eichenstamm.

Extrem scheuer Bewohner

Der Eremit ist extrem scheu, er kommt so selten hinter der dicken Eichenrinde hervor, dass ihn die Gaiganzer Bäuerin Elisabeth Weisel noch nie gesehen hat, obwohl sie seit Jahrzehnten das Feld neben einer ganzen Reihe von alten Kopfeichen bewirtschaftet. Höchst interessiert fragt sie deshalb Andreas Niedling, wie denn dieser Käfer überhaupt aussieht.

Der Biologe zeigt ihr ein Foto vom Eremiten, der an einen Maikäfer erinnert. „Der tät mer gefalln“, stellt die Bäuerin spontan fest. Und sie verspricht, im nächsten Sommer, wenn es schön warm ist, zu schauen, ob dieses seltene Krabbeltier nicht doch irgendwann mal aus seiner Behausung im angefaulten Eichenstamm herausspitzt.