Der Europa-Radler ist angekommen — und weiter geht’s

27.7.2017, 17:31 Uhr
Der Europa-Radler ist angekommen — und weiter geht’s

© Foto: Huber

Am 23. Mai trat er an der französischen Kanalküste in die Pedale gen Russland. Am 21. Juli, pünktlich zum Annafest, betritt Gunnar Schmidt die NN-Redaktion.

Der 35-jährige Forchheimer mit Wurzeln in Sachsen-Anhalt wirkt tiefenentspannt, mehr noch: glücklich. Davon zeugen seine leuchtenden Augen und sein stetes, unverkrampftes Lächeln. Das sieht man ihm an, braungebrannt, wettergegerbt und sieben Kilo leichter als noch vor zwei Monate.

Und das hört man, wenn er mit sympathisch-sächsischem Einschlag über seine 4825 Kilometer lange Reise plaudert – einen Trip, der für viele fahrrad-affine Menschen ein Wunschtraum ist, den sie sich ob all ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Verpflichtungen, aber niemals erfüllen.

Wir erinnern uns (und berichteten mehrfach): Für die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) radelte Schmidt mit seinem Stahlrahmen-Rad und 30 Kilo Gepäck von Calais aus los, um auf dem Europaradweg R1 in die zweitgrößte Stadt Russlands, Sankt Petersburg, zu gelangen und unterwegs Spenden zu sammeln. Für Menschen, die an Blutkrebs erkrankt sind. 1000 Euro waren das Ziel und 1000 Euro sind es am Ende auf dem Online-Spendenkonto von www.betterplace.org geworden.

"Einen Euro hier, ein paar Euro mehr da, keine Großspender, sondern ganz normale Leute haben die Kasse gefüllt. Einfach toll", sagt Schmidt. Dafür überwand er Rad- und Feldwege, Autobahnen und Schotterstraßen, zeltete auf Campingplätzen oder in freier Natur, schlief in Hostels oder auf gastfreundlichen Anwesen — meist allein, manchmal zusammen Reisebekanntschaften, von denen es unterwegs eine ganze Menge gab. Ob in Frankreich, Flandern, Holland, im Münsterland, im Harz, in Potsdam, Berlin, Polen, in der russischen Exklave Kaliningrad, in Litauen, Lettland oder Estland: Zufällige Begegnungen mit anderen Menschen, Einheimischen, Touristen, anderen Europa-Radlern (darunter auch ein Paar aus Erlangen), prägten seine Fahrt.

Und die Natur in all ihren Facetten. In Lettland beispielsweise habe es fast unaufhörlich geregnet, auch die Straßenverhältnisse wären dürftig gewesen, erzählt Schmidt. "Andererseits hatte ich mitten in den lettischen Wäldern plötzlich einen Top-Handyempfang." Wieso, kann er nicht sagen, denn Sendemasten waren weit und breit nicht zu sehen. Auch dem "breitesten Wasserfall Europas" in der lettischen Stadt Kuldîga stattete er einen Besuch ab. Stolze 240 Meter breit ist der "Ventas Rumba" – allerdings bei einer Fallhöhe von nur rund 1,80 Metern.

Feucht-fröhliche Letten

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© Foto: Gunnar Schmidt

In der Hauptstadt Riga blieb er nicht lange ("leider verregnet"), feucht-fröhlich sollte es auch später bleiben: Er traf den Letten Iwan, kam mit ihm ins Gespräch ("die meisten reden dort englisch, viele Ältere sogar deutsch") und bald packte Iwan den Wodka aus . . .

"Überall traf ich Menschen, die an mir und meinen Trip richtig interessiert waren", erzählt Schmidt. "Einer gastfreundlicher wie der andere. Die Leute dort haben oft nicht viel, aber sie bieten dir immer etwas an — mit einem Lächeln im Gesicht." Ebenso unproblematisch und vor allem unbürokratisch sei das Übernachten in der Natur gewesen. "Da braucht es keine Genehmigungen und so weiter. Solange man seinen Müll aufräumt, steht es einem frei, zu campen, wo man will."

Der Europa-Radler ist angekommen — und weiter geht’s

© Foto: Huber

Und Müll habe er in der baltischen Wildnis ohnehin so gut wie keinen gesehen, sagt Schmidt. Stattdessen: "Riesige Wälder voller gesunder Bäume, vor allem in Estland." Richtig kennenlernen könne man ein Land nur "auf dem Land", meint Schmidt. In den Städten sei alles ziemlich gleich, "ob du nun in Paris, Berlin, Danzig oder Riga bist: Dieselben Ladenketten, dasselbe Essen, die Leute sehen gleich aus, alles und jeder ist im Stress." Weswegen der Europaradler auch größere Städte immer mehr mied und lieber die Natur und Dörfer des Baltikums erkundete.

Doch eine Großstadt war unausweichlich: Sankt Petersburg, das große Ziel seiner Radreise. Hier gerät Schmidt ins Schwärmen. "Petersburg war absolut beeindruckend, die schönste Stadt, die ich bis jetzt gesehen habe." Majestätische Plätze und Torbögen, Prunkbau an Prunkbau, dazu die großen und kleinen Kanäle der Newa ("wie in Venedig") – die ganze Stadt als eine einzige, riesige Sehenswürdigkeit.

In einem Imbiss traf Schmidt eine junge Russin, die gerade ihren Schulabschluss hinter sich hatte und perfektes Deutsch sprach. "Sie hat mir dann auf dem Fahrrad das junge Sankt Petersburg gezeigt – also die Orte, Bars und Plätze, die bei Studenten beliebt sind." Aber natürlich ging es auch entlang des Newski-Prospekts, der berühmten 4,5 Kilometer langen Straße im historischen Zentrum Sankt Petersburgs.

"Eine Flaniermeile, die den Champs-Eylsees in nichts nachsteht." Tags darauf traf er zwei Jungs, die eben aus Moskau kamen und sich als Rucksack-Urlauber aus Schmidts alter Heimat, Halle an der Saale, herausstellten. "Das wurde dann am Abend natürlich noch kräftig gefeiert."

Der Europaweg-Radler war am Ziel angekommen. Nun galt es den Rückweg anzutreten. Aber Gunnar Schmidt wäre nicht Gunnar Schmidt, wenn er das mittels Flugzeug gemacht hätte: Er schwang sich auf sein Rad, verließ Petersburg und fuhr entlang des Finnischen Meerbusens läppische 400 Kilometer bis nach Helsinki.

Mit der Fähre ging es von dort aus durch die Ostsee zurück nach Deutschland und von Lübeck zurück nach Forchheim. "Mein Chef wollte natürlich auch, dass ich mal wieder zur Arbeit komme", sagt Schmidt lächelnd. Seine angehäuften Urlaubstage hat der gelernte Industriemeister Logistik und derzeitige Messtechniker im Außendienst mit dem jetzigen Trip jedenfalls komplett aufgebraucht.

Machen statt träumen

Schmidt ist nicht der klassische Aussteiger, er legt einfach keinen Wert auf das, was die meisten als "Karriere" bezeichnen. Selbige hätte er ja haben können, sogar in einer Führungsposition. Doch der innere Drang, die Welt zu sehen, war stets größer. So groß wie die Welt selbst. "Es gibt noch viele Orte, zu denen ich radeln will und werde", sagt Schmidt. Denn zwei Dinge habe er aus der Reise nach Sankt Petersburg gelernt: "Erstens, wie wenig ich brauche, um glücklich zu sein. Und zweitens: Es ist nie zu spät und nie unmöglich, das zu tun, was man will. Man muss es nur machen."

ZDie Bilder von Gunnar Schmidts Rad-Reise finden Sie auf www.nordbayern.de/forchheim.

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