Forchheim ist noch nicht im Jahr 2020 angekommen

16.9.2020, 12:00 Uhr
Forchheim ist noch nicht im Jahr 2020 angekommen

© Archivfoto: Roland Huber

Frau Prechtel, wie haben Sie die Wahlniederlage verarbeitet und wie sind Sie in Ihr neues Amt gestartet?

Die Aufgabe findet einen. Wir haben uns kopfüber in die Arbeit gestürzt. Da ist keine Zeit zur Selbstschau. Wir haben bereits viel angepackt und auch schon viel erreicht. Das Inhaltliche steht im Vordergrund, die Zusammenarbeit als Team. Das läuft gut.

Stichwort Teamarbeit: Im Wahlkampf ist der OB dafür kritisiert worden, dass der Stadtrat nicht ausreichend in Entscheidungen einbezogen wird. Hat sich das verändert?

Es hat sich ganz wesentlich verändert, weil alle wissen, dass wir zusammenarbeiten müssen. Schon alleine wegen der Mehrheitsverhältnisse und weil wir etwas erreichen wollen. Alle Stadträte ziehen momentan viel mehr an einem gemeinsamen Strang. Wir haben uns alle ein bisschen gerüttelt und haben einen Neuanfang gemacht. In der neuen Konstellation (mit zwei Bürgermeistern, Anm. d. Red.) stecken Chancen.

Sie waren nach der Wahl unsicher, ob Sie das Amt annehmen. Was war für Sie letztlich ausschlaggebend?

Ich bin angetreten als OB-Kandidatin, weil ich etwas bewegen wollte. Das will ich natürlich immer noch. Wenn es ein reines Repräsentationsamt gewesen wäre, hätte ich es nicht übernommen. Ich wollte inhaltliche Arbeit übernehmen. Dadurch, dass wir Zuständigkeiten zugeordnet bekommen haben, frei und eigenverantwortlich arbeiten können, können wir etwas bewegen.

Wie bringen Sie Ihr neues Amt unter einen Hut mit Job und Familie?

Das ist eine Frage der Organisation. Wir haben zum Beispiel Arbeit umgeschichtet: Mein Mann hat reduziert, ich habe aufgestockt. Da ich in meinem Beruf meine eigene Chefin bin, kann ich es mir einteilen. Nachtarbeit gehört auch dazu.

Die Kultur ist eines Ihrer drei großen Themen, für die Sie zuständig sind. In welche Richtung soll sie sich entwickeln?

Es ist ein Meilenstein, dass wir im Oktober ein eigenes Referat Kultur und Gesellschaft in der Stadtverwaltung gründen. Diese Struktur auf die Beine zu stellen war wichtig. Die Stadt soll auch eigene kulturelle Akzente setzen. Sollte Nürnberg europäische Kulturhauptstadt 2025 werden, beteiligen wir uns. Das wäre ein Schwerpunkt, den wir zusammen mit dem Landkreis mit Leben füllen. Darüber hinaus will ich das vorhandene Potenzial heben. Dazu gehört auch das schwierige Thema der Kulturräume, das mir im Sommer mit dem geschlossenen Kolpinghaus gleich vor die Füße gefallen ist. Eine meiner Hauptaufgaben ist es, nach Möglichkeiten zu suchen, wie Kultur wieder stattfinden kann.

Nachdem das Kolpinghaus gesperrt ist wegen Problemen mit der Statik, könnte die alte SPD-Idee einer Stadthalle wieder interessant werden.

Der Beschluss des Stadtrates, das Kolpinghaus als Kulturzentrum zu nutzen, steht nach wie vor und ich halte daran fest. Momentan versuchen wir herauszufinden, wie groß die Schäden am Haus sind. Die Frage ist, ob sich das Zentrum mit einer provisorischen Ertüchtigung schnell nutzen lässt, oder ob die Schäden so massiv sind, dass wir gleich in eine Generalsanierung gehen müssen. Noch ist die Sachlage unklar. Eine Generalsanierung würde bedeuten, dass das Haus über Jahre nicht nutzbar wäre. Dann müssten wir uns eine andere provisorische Lösung überlegen.

2016 hat die Stadt ein Gutachten für das Haus erstellen lassen. Seit 2019 ist die Immobilie per Erbpachtvertrag für 99 Jahre vom Kolpingverein übernommen. Dass das Dach in einem so schlechten Zustand ist, kam überraschend. War das kein Thema im Gutachten?

Es kam zu kurz.

Wenn ich durch die Stadt schlendere: Wie wird mir die Kultur begegnen?

Unsere Vielseitigkeit sollte sichtbar sein: Unsere mittelalterlichen Gebäude in einem sanierten, bewundernswerten Zustand, die Industriekultur und auch moderne Kunst. Mit der Generalsanierung des Rathauses packen wir das erste große Projekt aktuell an.

Ein großes Thema ist auch der Klimaschutz. Wo gibt es Nachholbedarf?

Den gibt es überall. Für die Stadt möchte ich eine Klimamanagerin oder einen Klimaschutzmanager installieren, um die Potenziale auszuloten und ein Klimaschutzkonzept zu erstellen. Das große Projekt Klimaschutz Stadt Forchheim muss gestartet werden. Bisher habe ich mich hierbei auf den Verkehr und die Verkehrswende konzentriert. Ich habe Kontakt mit dem Landkreis in Sachen ÖPNV aufgenommen und den Arbeitskreis Stadtbus gegründet, der für uns feststellen soll, welches Angebot wir wollen.

Von einem 15-Minuten Takt war einmal die Rede.

Der Takt spielt eine Rolle, aber auch die Linienführung ist ein großes Thema: Wie schaffen wir es, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger mit dem Bus zu erreichen. Bestimmt nicht, wenn er in Kersbach, Buckenhofen oder Burk nur in den Ortsdurchgangsstraßen fährt und hält. Wir müssen auch in die Wohngebiete kommen und die Abstände zwischen den Haltestellen müssen kürzer werden. Wenn ich mit dem Bus von der Lichteneiche länger bis zum ZOB brauche, als mit dem Zug von Forchheim nach Fürth, dann kann es das nicht sein. Es gibt viele solche Beispiele. Das ist in der Großen Kreisstadt Forchheim im Jahr 2020 nicht tragbar. Unser Stadtbusangebot ist nicht dem Jahr 2020 angemessen. Der Arbeitskreis muss jetzt definieren, was gewünscht ist, es in das Verkehrskonzept integrieren und dem Landkreis vorstellen. In das Konzept kommen auch Themen der Rad-AG.

Klimaschutz hat auch mit Stadtgestaltung zu tun: Wo wird der Bürger in zehn Jahren ein anderes Stadtbild vorfinden?

Stadtbäume, die den klimatischen Bedingungen standhalten, sind vor allem in der Innenstadt wichtig für ein angenehmes Klima. Auch bei der Neugestaltung des Paradeplatzes muss darauf großer Wert gelegt werden. In den letzten beiden Hitzesommern ist man möglichst schnell über den Platz gegangen, hat sich aber dort nicht aufgehalten, weil es viel zu heiß war. Das betrifft viele Stellen in der Innenstadt. Dass die Stadt ihre Liegenschaften energetisch saniert, ist eine Dauerforderung von uns Grünen. Und: Wir haben ein großes Potenzial an PV-Anlagen auf den Dächern. Die Menschen könnten noch mehr zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sein.

Wenn es ums Geld geht, steht das Thema Bäume schnell auf der Streichliste. Denken Sie, dass das Thema Klimaschutz schon ausreichend im Stadtrat angekommen ist, so dass Sie für Ihre Projekte auch genügend Rückhalt bekommen?

Ich gehe davon aus, aber wir müssen immer wieder daran arbeiten. Die aktuelle Krise hat das Thema sehr weit in den Hintergrund gerückt. Wir dürfen nicht meinen, dass sich irgendetwas geändert hat: Die Klimakrise ist weiterhin vehement da. Wir haben schon viel Zeit verloren und müssten viel schneller und effektiver in die Gänge kommen. Im Wahlkampf haben sich einige in Richtung Klimaschutz geäußert. Wir brauchen jetzt aber keine Bekenntnisse, sondern die richtigen Beschlüsse vom Stadtrat und Taten.

Sie haben bei der Wahl zum Stadtrat die meisten Stimmen von allen zur Wahl stehenden Räten erhalten. Treten Sie 2026 wieder als Oberbürgermeisterkandidatin an?

Momentan stelle ich mir diese Frage nicht, weil ich mich auf das konzentriere, was vor mir liegt. Da ist noch viel zu tun bis 2026.

Forchheim ist noch nicht im Jahr 2020 angekommen

© Foto: Ralf Rödel

Was ist Ihnen in Ihrem Amt wichtig?

Der Schlüssel zum Erfolg ist die Kommunikation. Wie wir mit den Menschen sprechen, dass wir rechtzeitig sprechen. Ich hoffe, dass mir möglichst wenig Fehler passieren. Ich möchte zu den Menschen in den Stadtteilen gehen. Nicht warten, bis jemand kommt. Wir haben in unserer Rolle auch eine Bringschuld.

Halten Sie weiter daran fest, die Hornschuchallee für den Verkehr zu sperren, um die Aufenthaltsqualität zu fördern?

Durchgangsstraße sollte die Allee nicht bleiben, sondern ein Bereich werden, in dem man sich gerne aufhält. Die Erreichbarkeit für Anwohner und Lieferverkehr, für Busse, Fahrradfahrer und Fußgänger soll natürlich erhalten bleiben. Wo auch wieder Bäume wachsen, mehr Freisitzflächen existieren, einfach mehr Leben in dieser Straße stattfindet. Wir müssen klären, wie wir den Verkehr in der Innenstadt leiten.

Das Thema ist ein sehr emotionales. Ideen für eine neue Allee sind schwer greifbar. Wie wollen Sie Bürger überzeugen?

Es gibt ja bereits Pläne für die Umgestaltung, die man visualisieren kann. Auch aus anderen Städten, die es uns vorgemacht haben, lassen sich Beispiele finden. Was man trotz allem braucht, ist der Mut, es einfach zu machen, sobald ein Konsens gefunden ist. Auch, wenn dann noch Widerstände vorhanden sind. Es braucht eine Umgewöhnungsphase, aber dann wird es gut. Die Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass es bis zu einem Jahr dauert, bis sich alles einspielt und die Vorzüge gesehen werden.

Was sehen wir 2030 in den Straßen?

Sie werden belebter, lebendiger sein. Sie sind grüner, es gibt mehr Bäume und schattige Plätze. Es gibt mehr Stimmengewirr, dafür weniger Verkehrslärm.

Zur Person:

Sie ist Geoökologin und promovierte zum Thema Bodenkunde/Bodenphysik: Annette Prechtel (46) kandidierte bei der Wahl 2020 als Oberbürgermeisterin für die Stadt Forchheim, hat ihr Wahlziel aber verfehlt. Als vom Stadtrat gewählte Bürgermeisterin (FGL) kümmert sie sich umKultur, Klimaschutz und Verkehr. Sie ist Geschäftsführerin, ist verheiratet und hat drei Kinder.

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