Fränkische Schweiz: Gaststätten kämpfen ums Überleben
1.9.2016, 09:35 UhrEin Morgen wie aus dem Fränkische-Schweiz-Bilderbuch. Wolkenloser Himmel, klare Luft, und das Walberla präsentiert im weichen Licht seine schmucke Felsflanke so kitschig-schön, als hätten sich Fotografen für den Fremdenverkehrskatalog angekündigt.
Unten im Dorf, in Schlaifhausen, bricht beim Gasthaus Kroder eine Würzburger Klettergruppe zum Rodenstein auf. Vier Pkw werden mit Rucksäcken und Seilen beladen. Die Unterfranken strahlen mit der Sonne um die Wette. Sie haben gut geschlafen beim in der Kletterszene bestens bekannten Kroder – und am Vorabend vortrefflich gegessen und getrunken sowieso.
Wirt Stefan Kroder, der seinen Vollbart schon ein paar Jahrzehnte länger trägt, als es Mode ist, drückt einem zur Begrüßung die Hand so fest wie ein Schraubstock. Im Hof verräumt der 64-Jährige gerade ein paar Biertischgarnituren. Mit leicht misstrauischem Blick reagiert er auf das Anliegen das Gastes.
Wie es mal weitergehen wird mit seinem seit 152 Jahren als Familienbetrieb geführten Gasthof? Ob auf die sechste auch eine siebte Wirtsgeneration Kroder folgen wird? Eigentlich möchte er darüber gar nicht reden. "Das wissen wir noch nicht. Das werden wir sehen.“ Aber weil Stefan Kroder erstens ein freundlicher Mensch ist und ihn zweitens so einiges an Gedanken umtreibt, was sehr wesentlich mit der Weiterführung eines Traditions-Wirtshauses zu tun hat, kommt er dann doch ins Erzählen.
Es hat schon Zeiten gegeben, da hat ihm seine Arbeit mehr Spaß gemacht. Vor Jahren hat er in einem Nebengebäude einfache Zimmer mit Stockbetten und Matratzenlagern eingerichtet. Bei Wanderern und Kletterern kam dieses Angebot bestens an. Neun Euro zahlen sie pro Nacht und Person. "Und jetzt soll ich da plötzlich zum Nachbarn hin eine zusätzlich Brandschutzmauer einziehen“, sagt Kroder. "Was soll da brennen?" Es wäre eine Investition, die in keinem Verhältnis zum Ertrag steht, den er mit der Herberge erzielt. Und es ist nicht das einzige Thema, das Kroder Kopfzerbrechen bereitet.
Bedienungsaushilfen zu bekommen, wenn am Sonntag die Ausflügler das Lokal stürmen, wird immer schwieriger. "Früher hat man die Verwandtschaft oder die Nachbarn gebeten, kommt schnell rüber und helft ein bisschen.“ Diese unkomplizierten Zeiten sind vorbei. Auch Aushilfen müssen ordentlich als 450-Euro-Kräfte angestellt, ihre Arbeitszeiten, die vorgeschrieben Pausen dokumentiert und allerhand Schreibarbeiten erledigt werden. Spontanes Aushelfen auf Zuruf, wie früher, gibt es nicht mehr.
Vor 35 Jahren hat Kroder die Gaststätte in Schlaifhausen von seinen Eltern übernommen. Seine Frau Maria ist die Küchenchefin, er managt den Service und den Einkauf. Die zum Anwesen gehörende Landwirtschaft haben die beiden in den letzten Jahren etwas zurückgefahren. Wenn Stefan Kroder im Gasthaus nicht gebraucht wird, arbeitet er in seiner hauseigenen Brennerei oder kümmert sich um seine Obstbäume, die die Früchte für seinen Zwetschgenbrand oder den fränkischen Calvados liefern. "Und selbst für diese Streuobstwiesen bin ich inzwischen buchführungspflichtig."
Die Bürokratie wird ein immer lästigeres Kapitel. Drei Kinder – zwei Töchter und einen Sohn – haben die Kroders neben all dieser Arbeit großgezogen. Der Sohn hat dann tatsächlich Koch gelernt und wäre eigentlich prädestiniert, den Gasthof mal zu übernehmen. Nur hat er die Schinderei der Eltern lange genug erlebt. "Der arbeitet jetzt als Koch bei Siemens", erzählt der Vater. Dort hat er tariflich geregelte Arbeitszeiten. "Und wenn er krank ist, ist er krank. Wenn ich den linken Arm in der Schlinge trage, muss ich trotzdem mit dem rechten bedienen.“
Gasthaus Kroder: Nachfolgersuche gestaltet sich schwer
Der Vater weiß, dass es nicht leicht wird, den Sohn irgendwann als Nachfolger zu gewinnen. Mit der Aussicht auf Reichtum kann er auch nicht locken. "Ach, wenn ich seh, was übrigbleibt ...“ Aus der Perspektive des Gastes sieht so ein Wirtsleben beneidenswerter aus. Wenn man am Sonntagmittag den letzten Tisch in der Gaststube ergattert hat, ein Schäufele nach dem anderen aus der Küche getragen und vom scherzenden Wirt Bier um Bier gezapft wird, kommt einem schnell der Gedanke: "Eine Goldgrube.“
Und wenn dann – wie vor vier Jahren – die neu angetretene Tourismus-Chefin der Fränkischen Schweiz, Sandra Schneider, öffentlich die Frage aufwirft, ob ein Schäufele für 5,50 Euro und eine Halbe Bier für 1,50 Euro nicht entschieden zu billig sei, geht ein wahrer Shitstorm über die "Nestbeschmutzerin“ nieder.
Söhne und Töchter helfen noch tapfer aus
"Die hätten die arme Frau ja am liebsten umgebracht“, erinnert sich Georg Hötzelein. Der Chef des Berg-Gasthofs in Regensberg bei Kunreuth und Forchheimer Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbandes spricht nicht vom eigenen Betrieb, den er im gehobenen Gastrosegment führt, wenn er beklagt: "Wir waren lange Zeit zu preiswert.“ Dafür, dass es in ein paar Jahren in der Fränkischen Schweiz noch eine bunte Vielfalt an Wirtshäusern gibt, möchte Hötzelein nicht garantieren.
"Viele haben rund um die Uhr gearbeitet und immer nur geschaut, dass sie über die Runden kommen. Sie haben keine Rücklagen gebildet und nicht daran gedacht, dass irgendwann der Hof frisch geteert, die Böden, die Toiletten oder die Küche erneuert werden müssen“, sagt Hötzelein. Und die Kinder hätten oft Eltern erlebt, die nie Zeit für sie hatten, aber immer für die Kunden. "Wer da Schulen besucht hat und rechnen kann, der fragt irgendwann: wofür?“ So mancher Sohn und manche Tochter helfe im elterlichen Wirtshaus noch tapfer aus, wenn am Sonntag das Geschäft brummt.
"Aber wenn die Mutter irgendwann mal nicht mehr kann, sperrt die Tochter den Laden zu.“ Auf manchen Wanderführer-Eintrag, der fürs nächste Dorf eine urige Wirtschaft verspricht, kann man sich heute schon nicht mehr verlassen. Die Zahl der Gasthäuser, wo dichte Spinnweben über das Fenster mit dem "Geschlossen“-Schild wachsen, wird immer größer.
Und die drei Kilometer bis zum nächsten Ort können für Wanderer dann oft lang werden. Aber es sind nicht nur die einfachen Dorfwirtshäuser, die beim nächsten Generationenwechsel plötzlich vor der Existenzfrage stehen. Auch manche große Gastronomiebetriebe haben zu kämpfen.
Der Gasthof "Zur Post“ in Egloffstein ist ein stattliches Haus mitten im malerisch gelegenen Trubachtal-Ort mit der hoch oben am Fels thronenden Burg. Eine ganze Busladung von Gästen konnte das aus dem Jahr 1890 stammende Hauptgebäude und der in den 70er Jahren errichtete Anbau einst aufnehmen. Das ist vorbei, seit die Beamten der Bauaufsicht nicht erfüllte neue Brandschutzauflagen monierten und etliche Zimmer deshalb schließen ließen.
Der Übernachtungsbetrieb war und ist die wichtigste Einnahmequelle des Betriebs. Aber die 230.000 Euro, die investiert werden müssten, um den strengen Vorschriften des Brandschutzes gerecht zu werden, die finden sich nicht auf irgendwelchen Konten oder Sparbüchern der "Post“-Betreiber. "Wir schrappen hier jeden Winter knapp an der Pleite vorbei“, schildert Juniorchefin Jessica Heid bemerkenswert ungeschminkt die finanzielle Situation des Hauses.
"Zur Post": Brandschutzbestimmungen zwingen zur Kapitulation
Eigentlich wollte die 34-Jährige, die noch zwei ältere Schwestern hat, nie in den elterlichen Gastrobetrieb einsteigen. Aus den üblichen Gründen. "Wir haben hier früher immer mitgearbeitet und hatten – im Gegensatz zu den meisten anderen – keine Zeit für Freunde“, erzählt die junge Frau. Und dass man trotz all der Arbeit finanziell "auf keinen grünen Zweig kommt“, das hat Jessica Heid auch früh gelernt.
Ihre Mutter, Erika Heid, die 1974 zusammen mit einer Busgesellschaft aus Westfalen eigentlich nur ein Wochenende in der Fränkischen Schweiz verbringen wollte, sich dann aber in den Egloffsteiner Wirt Fritz Heid verliebte und blieb, ist seit dem frühen Tod ihres Mannes im Jahr 1983 die Chefin im Gasthof "Zur Post“. Sie freute sich, als die jüngste Tochter nach ihrer Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin von einer einjährigen Weltreise zurückkam und mitteilte, sie wolle jetzt doch ins Gastrofach einsteigen. "Ich hatte in Australien einige Zeit in einem Pub gejobbt und gemerkt, dass das doch mein Ding ist“, erzählt Jessica.
Im renommierten Schindlerhof in Nürnberg-Boxdorf machte die Heid-Tochter eine Ausbildung, arbeitete danach in Neuseeland und Kanada, hängte dann noch eine Ausbildung zur Hotelbetriebswirtin dran und wollte es entgegen allen ursprünglichen Vorsätzen schließlich doch im heimischen Gasthof probieren. 2013 war das. Die Mutter sollte nach fast 40 Jahren Arbeit rund um die Uhr endlich entlastet werden und möglichst bald in die verdiente Rente gehen dürfen. Mit drei festangestellten Mitarbeitern und etlichen Aushilfen wollte es Jessica Heid schaffen.
Kurz darauf kamen die Beamten vom Landratsamt mit den neuen Brandschutzbestimmungen im Gepäck. "WIR KAPITULIEREN!“, schrie Jessica Heid im Dezember letzten Jahres auf der Facebook-Seite ihres Gasthofes in die Welt hinaus und schrieb sich in einem längeren Wut-Stück den Ärger von der Seele. "Das Echo war riesig“, erzählt sie. Gastro-Kollegen von überallher hätten ihr beigepflichtet und einige rührige Menschen hätten sogar überlegt, die Existenz der "Post“ per Fundraising-Modell zu sichern und im Netz Geld einzusammeln. Zumindest gut gemeint war das.
Am Entschluss, den seit fünf Generationen von der Familie geführten Betrieb samt 12.000 Quadratmeter Grund und dem von Jessica liebevoll angelegten und fantasievoll-alternativ angehauchten Wirtsgarten "Heidsgärtla“ zu verkaufen, änderte es aber nichts. Interessenten waren da, zugegriffen hat keiner. "Es müsste sich ein Investor finden, der es hier mit Wellness probiert“, sagt Jessica Heid. "Das hab ich vor 25 Jahren schon gesagt“, schiebt Mutter Erika trotzig hinterher.
In der jetzigen Form, wissen Mutter und Tochter Heid, wird das Haus nicht auf Dauer weiterzuführen sein. Weil selbst das mittlere Preisniveau (Schnitzel mit Pommes und Salat für 9,20 Euro, die Halbe Bier 2,60) den Ganzjahresbetrieb nicht sichert. "Der Winter ist zu lang“, sagt Erika Heid. In der Zeit fehlen die Ausflügler und Touristen. Dem zweiten Lokal am Ort, einer Pizzeria, hat das vorerst auch den Garaus gemacht. Innerhalb von relativ kurzer Zeit, berichten die Heids, habe dort der dritte Pächter das Handtuch geworfen.
Auf die Einheimischen brauchen die Wirtsleute nicht groß setzen. Die lassen sich im Gasthof "Zur Post“ kaum sehen. Eine Westfälin hat es auch nach 40 Jahren nicht leicht in Franken. "Ich würde das alles nicht mehr machen“, sagt Erika Heid und weiß doch, so lange sich kein Käufer findet, muss es weitergehen. Weil alles, was der Altersvorsorge hätte dienen können, immer wieder in den Betrieb floss.
Und weil Egloffstein ein Gasthaus braucht. Wie im Grunde jeder Ort in der Fränkischen Schweiz, wenn man Ausflugs- und Urlaubsziel bleiben will. Sonst wird nämlich die finstere Prophezeiung des Kletterer-Wirts Stefan Kroder wahr: "Irgendwann können sie am Sonntag zu Mc Donald’s zum Essen gehen.“
1 Kommentar
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich zuvor registrieren.
0/1000 Zeichen