Geschichte von Kersbach wurde zum Leben erweckt

10.5.2017, 11:00 Uhr
Großer Erzähler: Willi Preusch machte den Rundgang zum Erlebnis.

© Udo Güldner Großer Erzähler: Willi Preusch machte den Rundgang zum Erlebnis.

„Bekanntmachung!“ schallt es auf dem Kirchplatz, und eine lautstarke Glocke lässt das Gemurmel ersterben. Willi Preusch ist in seinem Element. Mit großer Detailkenntnis entführt er das Publikum in die Vergangenheit, als rund um das Gotteshaus bis 1875 noch ein Friedhof lag. Als Kersbach mit der Schokoladenfabrik Tietze noch ein süßes Geheimnis barg. Als die Kinder mit ihren Schlitten noch den Hahberg ins „Schneiders-Gässla“ herunterrauschten.

Das Dorf scheint in seiner 1000-jährigen Geschichte seit der urkundlichen Ersterwähnung ein gefährliches Pflaster gewesen zu sein. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man dem ehemaligen BRK-Rettungssanitäter Preusch zuhört. Die Chronik erzählt von Blitzeinschlägen, Gasexplosionen, Großbränden und sogar Morden. 1532 traf es den Pfarrer Johann Stepper, 1878 die Brothändlerin Anna Margareta Albert.

Zu jedem Haus und jedem Stein weiß Willi Preusch etwas: Sei es die alte Schule am Kirchplatz, in der von 1867 bis 1958 in zwei Schichten bis zu 100 Kinder unterrichtet wurden. Weil der Lehrer schlecht bezahlt war, verdiente er sich als Organist, Mesner, Gemeindeschreiber und als Grabmacher ein paar Reichsmark hinzu.

Jeden Einwohner kennt er. Nicht nur die bereits verstorbenen, die nur noch auf dem Papier existieren. Öffnet sich ein Fenster und schaut ein Neugieriger heraus, Preusch plaudert mit ihm. Einige Kersbacher, die nicht so gut zu Fuß sind, sitzen auf Bänken oder Rollatoren vor dem Haus und warten auf den „Gemeindediener“.

Ganz Kersbach scheint an diesem sonnigen Nachmittag dabei sein zu wollen. Glücklicherweise zieht Siegfried Zametzer einen Lautsprecher auf dem Handwagen hinter sich her. Auch Preuschs Vater ist Teil der Ortsgeschichte. Ludwig „Sheriff“ Preusch lenkte als Bürgermeister die Geschicke von 1957 bis zur Eingemeindung nach Forchheim 1978 vom „Preuschn-Gässla“ aus. So wie vor ihm Hans Hoffmann (1948-1957), Hans Derbfuß (1945-1948), Hans Zametzer (1943-1945) und Hans Hofmann (1938-1943). Alle hat Preusch erlebt.

Erhellend, unterhaltsam und makaber

Schier ohne Ende zieht sich die Menschenschlange durch die engen Gassen des Ortskerns. Sie erfahren, wie es Kirchenpfleger Johann Schneider 1945 gelang, eine weiße Fahne am Kirchturm zu hissen und so die friedliche Übergabe Kersbachs an die US-Truppen zu ermöglichen.

Sie hören, wie 1950 ausgerechnet beim Feuerwehrkommandanten Georg Nögel im „Brendels-Gässla“ ein Brand ausbrach und wie der Mesner aus Forchheim bei einer Beerdigung die Worte sprach „wer wird wohl der nächste sein?“, woraufhin er ins offene Grab fiel und tot war.

Willi Preusch ist ein großer Geschichtenerzähler. Man könnte ihm noch stundenlang lauschen. Doch am Backhaus warten bereits Kaffee, Küchla – und ein Schnaps für den „Gemeindediener“. Wie es früher halt so war.

 

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