Integrationsleistung durch Sport war nie aktueller

5.9.2015, 13:13 Uhr
Integrationsleistung durch Sport war nie aktueller

© Foto: Mark Johnston

Im Ausdauersport gibt es gutes Geld zu verdienen. Immer wieder führen Profis aus Kenia nicht nur bei Olympia, sondern auch bei großen Laufveranstaltungen in Deutschland die Sigerlisten an. Obwohl der Fränkische-Schweiz-Marathon nicht an die Popularität der Rennen in den Metropolen Berlin oder Frankfurt heranreicht, gaben sich auch beim familiärer geprägten Landschaftslauf regelmäßig ambitionierte Spitzenleute die Ehre. 2013 löste der über Nacht angereiste Ungar Tamas Nagy in 2:26 Stunden des bestehenden Streckenrekord des polnischen Seriensiegers Marek Wasilewski ab.

In seinem früheren Leben war auch Getachew Endisu, der seine persönliche Bestzeit 2013 in 2:17 Stunden im marokkanischen Casablanca aufstellte, auf die Prämien aus. Doch es war nicht in erster Linie seine sportliche Karriere, die den 24-Jährigen im Frühjahr 2014 nach Bayern führte. Der später gefeierte Überraschungssieger des Fränkische-Schweiz-Marathons nutzte einen Europa-Aufenthalt mit seiner äthiopischen Läufergruppe zur Flucht. „Von sich aus erzählt er wenig, er will die Vergangenheit hinter sich lassen“, sagt sein aktueller Trainer Theo Kiefner. Es gilt die Information, dass Getachew Endisu zur in seiner Heimat von politischer Willkür und Gewalt bedrohten Volksgruppe der Oromo gehört.

Sein weiterer Weg ist bekannt. Nachdem der Äthiopier, der im Alter von 14 Jahren mit den Langstreckenläufen begann, über Frankfurt und Zirndorf in eine Asylbewerber-Unterkunft im Auerbacher Ortsteil zog, schloss er sich der Läufergruppe der BTS Bayreuth um seinen Landsmann Badhane Gamachu an. Schnell erkannten Betreuer Detlev Lindner und Sportmediziner Reinhard Wittke, der als Dolmetscher fungiert und Sponsorenkontakte pflegt, das Talent ihres neuen Schützlings, der zwischen dem Deutschunterricht in Amberg morgens und abends 20 Kilometer alleine für sich lief.

Beim 10-km-Lauf in Weiden pulverisierte Endisu den Streckenrekord und trotzte dann Anfang September den heißen Temperaturen in der Fränkischen Schweiz. Im Hochland seiner Heimat sind sie mildere Sommer gewöhnt. „Laufen bedeutet mir alles“, erklärte der gertenschlanke junge Mann nach seinem Sensationserfolg.

Neue Freunde in Fürth

Der Titelverteidiger vollzog im laufenden Jahr einen Vereinswechsel zum LAC Quelle, einer Abteilung des TV 1860 Fürth. Der Kontakt kam über Mitku Seboka, dem Deutschen Meister über 10 000 Meter, zu Stande. „Zweimal die Woche kommt er mit dem Zug aus der Oberpfalz und muss dann bei Freunden in Nürnberg oder Fürth übernachten, weil abends nichts mehr zurückfährt“, berichtet sein Trainer. Ein Antrag auf Verlegung in eine nahegelegene Unterkunft liegt noch bei der zuständigen Behörde. In der Gruppe von Werner Kaminski und Theo Kiefner laufen mittlerweile fünf Flüchtlinge aus Äthiopien und Eritrea. „Manchmal merkt man ihnen und ihrer Leistung die Unsicherheit ihrer privaten Situation an. Sie haben kaum Abwechslung und sind dann so motiviert, dass sie Gefahr laufen, zu viel zu machen.“

Obwohl Endisu in seinem ersten deutschen Winter mit den ungewohnt harten Böden zu kämpfen hatte, stimmte die Form im Juni beim Halbmarathon in Fürth, den er überlegen gewann. In Ebermannstadt, wo am Sonntag beim Marathon auch ein halbes äthiopisches Klassentreffen mit Badhana Gamachu (Bayreuth), Firaaol Ebbissa Nagahoo (Hof) und Mandefro Shiferaw Birru (Forchheim) stattfindet, dürfte es für den 24-Jährigen im Halbmarathon ein Rennen allein auf weiter Flur werden, deutet Kiefner an. Denn: „Nächstes Jahr darf er bei bayerischen und deutschen Meisterschaften starten. Wenn er gesund bleibt, ist ihm auf den Langstrecken der Sprung in den Kreis der Spitzenathleten zuzutrauen.“ Und genau diese Perspektive ist es, die Getachew Endisu und Gleichgesinnte antreibt. Qualifizieren sie sich für den deutschen Nationalkader und versprechen sie internationale Medaillenerfolge, winkt ihnen die Staatsbürgerschaft. Die Integration ist schon jetzt im Gange. „Der Sport hilft, Kontakte zu knüpfen und Sprachkenntnisse zu verbessern. Die Fortschritte sehe ich wöchentlich“, freut sich Kiefner.

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