Kabarettistin macht Forchheimer zu Patienten

1.2.2015, 18:09 Uhr
Kabarettistin macht Forchheimer zu Patienten

© Güldner

Aus der Sicht Karin Engelhards ist jeder Zuschauer ein Patient, der einer dringenden Therapie bedarf. Nach zwei Stunden Lachbehandlung mit einer als Eintrittsgeld deklarierten Praxisgebühr werden alle als geheilt entlassen. Aber zuerst geht es auf Zeitreise.

Es gibt Menschen, die in der Vergangenheit leben, die vom Gestern schwärmen, die mit der Jetztzeit nicht recht zurechtkommen. Und es gibt Menschen, die selbstkritisch darauf reagieren. Zu ihnen gehört Karin Engelhard. Wo heute Ritalin Kinder ruhigstellen soll, habe das früher eine „Schelln“ geschafft; wo heute Facebook wildfremde zu Freunden mache, habe es früher ein persönliches Poesiealbum gegeben und so weiter.

Karin Engelhard ist ausgelaugt. Für eine gelernte Bäckerei-Fachverkäuferin eine niederschmetternde Diagnose. Doch die Fränkin nimmt es mit Humor. In ihren Anekdoten und Gedankensplittern dreht sich alles um Menschen, deren Schaukel zu nah an der Wand gebaut war, die also „eine sehr schwere Kindheit gehabt haben.“ Um Menschen, die wie Burnout-Birgit stets für andere brennen, bis der Ofen aus ist. Um Menschen wie Bore-Out-Dittmar, der als gelangweilter Brandstifter nach etwas menschlicher Wärme sucht.

Dabei ist schon der optische Gesamteindruck der Kabarettistin bereits ein Statement: Es beginnt ganz unten mit High Heels, die nichts für Menschen mit Höhenangst sind. Es setzt sich fort in einer knallengen Hose, die den Krampfadern Einhalt gebieten soll, oder wie es Karin Engelhard formuliert, „der Tätowierung des Rhein-Main-Donau-Kanals und seiner zahlreichen Nebenflüsse.“ Darüber ein Bauch-Weg-Schlank-Stütz-Unterhemd vom Tele-Shopping — und für alle sichtbar ein „bassd scho“-Shirt, die sie als Fränkin ausweist. Weiter oben obligatorische Schulterpolster und ein Dekolleté, mit dessen Ausmaßen die Schauspielerin ein ums andere Mal kokettiert. „Bei mir ist alles echt — auch der Batscher.“

Die bittere Wahrheit

Irgendwo zwischen Online-Beichte, esoterischen Sargmachern und der bitteren Wahrheit, dass der Seniorentanz inzwischen die Disco abgelöst hat, gerät die Kabarettistin in ein selbstmitleidiges Fahrwasser, aus dem sie nur Dank ironischer Distanz und ihrer Gesangskünste wieder herausfindet.

John Travolta, Cat Stevens oder ABBA werden dann mit fränkischem Text unterlegt und parodistisch unterlaufen. Das Publikum folgt ihr zu VHS-Kursen „Pulsader-Aufschneiden“, erfährt von ihrem wirkungsvollsten Verhütungsmittel — einer DVD-Box mit „Super Nanny“-Folgen — und darf sich auf Entspannung im Wirr-Pool freuen.

Karin Engelhard spricht gerne, viel und schnell, eine Frau, die redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, ein fränkisches Schnabeltier quasi. Als WIP, wirklich interessante Person, oszilliert sie im Kulturkeller zwischen Wechseljahren und Wahnvorstellungen, plant bereits die Teilnahme an einem Gehwagen-Parcours und hat sich ein tiefergelegtes Cabrio zugelegt, um mit den Dackeln auf Augenhöhe zu kommunizieren. In ihren Erinnerungen bestehen die 80er Jahre aus Kassetten-Bandsalat, aus einem Michael Jackson, „der noch schwarz war“, aus Stressless-Sesseln und Telefon-Wählscheiben in Münzfernsprechern. Und natürlich aus der US-Serie Dallas, in der Schnapsdrosseln wie Sue Ellen Ewing die Szene, aber nicht sich selbst beherrschten.

„Wir hatten damals ja nichts“, ist der Satz, der allen Ältergewordenen allzu leicht über die Lippen kommt, auch wenn gerade kein Krieg zu Ende gegangen ist. Nur eines hatten Karin Engelhard und ihre Generation offensichtlich. Viel Spaß beim Sitzen unter Trockenhauben, beim Anschauen harmloser Softpornos und beim untergriffigen Stehblues. „Wir sind älter geworden. Aber es gibt uns noch. Wir sind die Harten.“

Die „Herbstdepressionen schon im Januar“ sind spätestens nach der Zugabe im Bademantel vergessen, mit der Karin Engelhard dem 80-jährig verstorbenen 1980er-Jahre-Helden Udo Jürgens ihre Reverenz erweist. „So schön, schön war die Zeit“, sang einst Freddy Quinn. Für Karin Engelhard waren die 80er eine schöne Zeit, für die Zuschauer der Abend mit ihr.

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