Kein Kuschelmärchen

1.2.2011, 17:46 Uhr
Kein Kuschelmärchen

© Huber

handelt dieses altbekannte Märchen, gesammelt von den Gebrüdern Grimm, doch von einer Zeit, als große Teuerung herrschte im Land und der Vater, ein armer Holzhauer, das Brot für seine Familie nicht mehr herbeischaffen kann. So sieht sich die Familie gezwungen, sich unnützer Esser – denn Kinder waren genau das – zu entledigen. Alles andere also als ein Text für die Spaßgesellschaft.

Lumma setzt das Märchen auf einem großen altertümlichen Herd als Bühne in Szene. Seine Figuren sind aus Metall und haben nichts Niedliches an sich, muten den Älteren im Publikum vielleicht gar an, als seien sie der Designerwerkstatt der Schöpfer von „Alien“ entsprungen. Diese Distanz schaffende Fremdartigkeit der Figuren bildet den Boden für das Spiel Lummas, der, entsprechend kostümiert, eine Art Beseelungshilfe für seine Figuren gibt, indem er, als Spieler, das lebendig vorführt, wovon er als Erzähler gerade spricht, respektive was seinen Puppen gerade widerfährt. Auch im Sprachduktus bleibt der Künstler im Übrigen seiner Linie treu und hält sich, ohne besondere Neudeutschung an den altertümlichen Duktus des Originals.

Lummas Ofenbühne wird umstanden von bizarren, ausfasernden Metallstelen, die einen Wald vorstellen und die metallisch klingen, wenn der Puppenspieler sie anschlägt mit einem Metallstab. Dieses Anschlagen zeigt die in ihrer Perfidie schier den Atem raubende List des seine Kinder doch, laut Märchen, eigentlich liebenden Vaters, der angeblich zum Holz schlagen in den Wald gegangen war, dann aber, um die Kinder mit dem scheinbar nahen Schlag der Holzaxt zu beruhigen, einen toten Ast an einen Baum gebunden hatte, um so Axtschläge zu simulieren.

Mit geringen Mitteln wird unter den Händen Lummas der Ofen zum Pfefferkuchenhaus, er wird zum Stall, in dem die Hexe den Hänsel einsperrt, um ihn zu mästen, auf dass er schön fett sei, an dem Tag, an dem sie ihn zu schlachten gedenkt. Lummas Ofenbühne wird auch zum Backofen, finster glühend in der plötzlichen totalen Dunkelheit der Bühne. Rauch steigt auf, Unheil dräut, nun soll auch Gretel dran glauben. Doch es kommt bekanntlich anders – der Flammentod einer Person, sei es auch eine üble Märchenhexe, ist kein Spaß.

Wüste Missklänge

Dieser brutalen Ernsthaftigkeit des Themas entspricht Lumma äußerst geschickt – er setzt seine Geige ein. Diese Geige schillert geheimnisvoll in an Chagall erinnernden Farben, die so überhaupt nichts zu tun haben mit dem würdigen Ernst, den der Elfenbein- bis Braunton einer Konzertgeige sonst so übermittelt. Auf ihr interpretiert Lumma nun den Tod der Hexe im Backofen als wüste, laute, in den Ohren schmerzende Kakophonie, bei der sein Instrument schier zu schreien scheint. Die Anspannung entlädt sich bei den Kindern danach im befreiten Lachen angesichts dieses komischen Kauzes auf der Bühne, der da gar so spaßige Verrenkungen beim Fiedeln macht. Die Erwachsenen verspüren Erleichterung, wenn der Töne des Todes genug sind.

Lumma bringt seinen alten Stoff als Theater der Phantasie auf die Bühne – und als Theater der Beseelung. Ein Federchen und Geigenspiel – das reicht, um den Gesang eines Vogels, ja den Vogel selbst entstehen zu lassen, der die Kinder zum Haus der Hexe führt. Allein durch seine Materialien fordert sich der Künstler – denn was könnte toter sein als Metall? Erst in seinem Spiel erfahren seine Figuren Lebendigkeit, Beseelung. So gelingt es ihm, einen alten Stoff in interessanter Interpretation abseits aller verlogenen Kuscheligkeit auf die Bühne zu bringen.