Nachtschicht: Der Abriss der Bahnbrücke bei Kersbach

24.9.2016, 13:35 Uhr
Mit Hilfe eines Krans und schwerer Stahlketten wird das Bauwerk nahe Kersbach verlagert.

© Udo Güldner Mit Hilfe eines Krans und schwerer Stahlketten wird das Bauwerk nahe Kersbach verlagert.

Schon am letzten Wochenende hatte die planmäßige Demontage der Plattenbalkenbrücke begonnen. Sie ist der deutlich breiteren ICE-Strecke von Nürnberg nach Berlin im Wege. Es braucht also auch eine neue Brücke, die den zu kleinen Vorgänger aus den 60er Jahren ersetzt. Nur wurde man in der vorigen Woche nicht ganz fertig. An den vier Ecken eines jeden Brückensegments haben sie aber schon einmal Löcher gebohrt, durch die schwere Stahlketten geführt werden. An ihnen hängt das Schicksal des Bauwerkes. Noch dauert es aber, bis die Deutsche Bahn den Zugverkehr eingestellt und den Starkstrom abgeschaltet hat. Sonst begäbe sich jeder in der Nähe der Oberleitungen in akute Lebensgefahr.

Erst als das Signal gegeben wird, kann es richtig losgehen. Auf den Resten der Brücke tummeln sich eine handvoll Spezialisten der Spreng- und Abbuch-Firma "Möller & Essing". Die Niedersachsen haben trotz engen Zeitplans die Ruhe weg. Sie tragen im Gegensatz zu den gelbgewandeten Mitarbeitern der Deutschen Bahn orange Warnwesten, weiße Schutzhelme und einige auch einen Gehörschutz. Das Kommando hat Werner Essing Junior persönlich, der über Funk den Kontakt zu seinen Leuten hält. Was bei dem Lärm, den die Motoren und die Zerstörungsmaschinen verursachen, gar nicht so einfach ist. Denn noch wehrt sich die Brücke. Oben fliegen gerade die Funken. Mit einer Schneidemaschine rücken die Arbeiter der Stahlbetonoberfläche zu Leibe.

Aus dem zentimeterbreiten Spalt, der sich unaufhaltsam vom einen zum anderen Ende des Brückenabschnitts frisst, tropft das Wasser herunter, mit dem das Sägeblatt gekühlt wird. Damit die braune Brühe keinen Schaden anrichtet gibt es für die Gleise eine Stoffabdeckung. Plastikrohre, wie man sie von Dachrinnen her kennt, umhüllen die Oberleitungen und werden an über fünf Meter langen Holzlatten plaziert. Stück für Stück geht es voran. Es riecht nach Diesel aus den Stromgeneratoren und dem Kranmotor, und nach erhitztem und feuchtem Beton.

Zwölf Meter langer Beton-Koloss

Überall liegen Trümmer, ragen Stahlträger hervor. Jeder Schritt will genau überlegt sein, nicht nur entlang der Abbruchkanten und am Abhang. Dann wird es langsam kalt. Derweil hat Oliver Lage, Bauüberwacher aus Riesweiler im Hunsrück die herumschwebenden Bauteile fest im Blick. Der Cousin des Sängers Klaus Lage erklärt, dass alles minutiös geplant sei. Das habe statische Gründe. Dann kommt doch noch ein Zug. Allerdings ein ganz besonderer. Die Stopfmaschine der französischen Baufirma Eiffage Infra-Rail verdichtet den Schotter im Gleisbett.

Der war durch das Verlegen neuer Rohre zur Ableitung des Oberflächenwassers unter den Schienen hindurch locker geworden. Denn aus den bisher zwei Gleisen werden demnächst vier werden. Dahinter fegt eine Bettungsreinigungsmaschine mit einer Bürste aus Plastik und Gummi, die einer Waschstraße entkommen zu sein scheint. Im Führerhaus seines achtachsigen Krans ist Thomas, der seinen Nachnamen nicht verraten will, inzwischen zum Warten verdammt. Hinter sich 160 Tonnen Ballast als Gegengewicht, unter sich 650 Pferdestärken und vor sich am 30 Meter langen Arm ein Gewicht von rund 60 Tonnen. Der Fachmann der Firma Klug aus Hof hat keine Probleme, das schwerwiegende Ungetüm inklusive Geländer an den vier extrem belastbaren Textilseilen langsam, aber sicher zur Seite zu legen.

Ein Stahlseil dient nur dazu, die etwa zwölf Meter Beton einigermaßen in der Waagerechten zu halten, wie Axel Essing erzählt. Sein Bruder ist der Geschäftsführer des Familienunternehmens aus Georgsmarienhütte. Nach vier Stunden liegt bereits der zweite von sechs Teilen auf der Schattenseite der Baustelle. Im Laufe der Nacht soll der Rest der Ruine folgen. Vielleicht sogar der Querbalken und die Brückenpfeiler. Was aus ihnen wird, deutet der Bagger an, der noch etwas abseits steht. Was bleiben wird ist ein Berg Bauschutt, den Kipplaster fortschaffen werden.

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