Oberrüsselbach: Im Reich des grünen Tees

30.9.2016, 17:58 Uhr
Oberrüsselbach: Im Reich des grünen Tees

Dass Gerhardt Staufenbiel in Oberrüsselbach ein Zentrum für japanische Kultur und Teezeremonie betreibt, das japanisches Flötenspiel, Trommeln und Zen-Meditation lehrt, hat mit den olympischen Spielen 1972 in München zu tun.

Seit dem Sommer vor 44 Jahren steht im Englischen Garten ein japanisches Teehaus. Ein Geschenk an den Freistaat, das den olympischen Gedanken etwas wandelt: Statt „Dabei sein ist alles“ geht es um „Da sein ist alles, im Augenblick sein“, erzählt Gerhardt Staufenbiel, und dass er am Tag, nach dem das Teehaus stand, sofort angefangen habe, die Teezeremonie zu lernen. Er, der Physiker, der am Max-Planck-Institut forscht, ist fasziniert von der fernöstlichen Philosophie, von den Fragen nach dem Sein und dem Sinn. Das hat Konsequenzen, beruflich und privat.

Die Zukunft ist weit weg

Gerhardt Staufenbiel ist heute 76 Jahre und eine Koryphäe für japanische Kultur. Wenn er über die Zeit in München erzählt, klingt es, als habe sich alles organisch und logisch aneinander gefügt, als hätte es keinen Platz für Zukunftsängste, Geldsorgen oder ähnliches gegeben. Vielleicht auch deswegen: „Tee ist Zen“, sagt er. Und Zen? „Zen-Meditation bedeutet, anzukommen. Die Gedankenmaschine hört auf. Du entdeckst neue Kräfte in dir, in dem du dich auf den Augenblick konzentrierst.“ Diese Kraft verändere den Alltag.

Über Nürnberg, wo er ebenfalls ein Teehaus einrichtet, findet er den Weg per Zeitungs-Annonce nach Oberrüsselbach. „Ich habe das Haus gesehen und wusste, das ist es.“ Wer die Klingel am großen Eisentor drückt, der wird zunächst vom laut bellenden und schwanzwedelnden Hund Staufenbiels begrüßt, Kin freut sich über Besuch.

Und dann der Blick. Das Haus ist am Hang gelegen. Unten liegen Weißenohe und Igensdorf. Eine Art japanisches Tempelvordach markiert den Eingang. Schuhe, Hektik, Lärm und Stress haben innen keinen Platz. Durch das dünne, weiße Papier der Schiebetüren fällt gedämpftes, weiches Licht. Der erste Eindruck: so schlicht wie erwartet. Dann fallen die vielen Details auf.

Die Füße stehen auf 40 Jahre alten Tatami-Matten aus gepresstem Binsengras und geflochtenem Reisstroh. Darunter verbirgt sich noch das Becken, in dem früher die Eigentümer geschwommen sind.

In einer Nische weist eine Kalligrafie darauf hin: „Nichi Nichi kore ko jitsu“ (Jeder Tag ist ein guter Tag). Daneben hängen eine Malve und ein paar Gräser in einem Gefäß. Chabana (die Teeblume) heißt diese Art von Blumenschmuck. Ein paar Musikinstrumente, ein Gong für die Meditation reihen sich aneinander.

Zeit für eine Tasse Tee. Michael Mihaljevic aus Nürnberg, ein Schüler Staufenbiels, wird die Zeremonie durchführen. Jedes Utensil, jeder Handgriff, hat einen Sinn. Der Furo, der bronzene Ofen, ist mit Dämonenköpfen verziert, die schlechte Einflüsse abhalten. „Wie der Wind in den Kiefern“ muss das Wasser im gusseisernen Kessel auf dem Ofen rauschen (technisch ausgedrückt: bei 70 Grad).

Es geht um Tee, nicht mehr und nicht weniger. Dafür sind die erlesensten Zutaten gerade gut genug. Das fängt schon beim Putztuch an. In 30 bis 50 Färbevorgängen erhält die Seide ihr sattes Violett. „Frauen benutzen rote Seide.“ Die Gerätschaften liegen an ihrem Platz auf einem langen Holzbrett — „usucha nagaita“ (langes Brett) nennt sich deswegen diese Form der Teezeremonie. 800 verschiedene Variationen gibt es.

Melancholische Töne

Michael Mihaljevic zieht sich kurz zurück, um sich zu sammeln. Er schiebt die Tür zurück, kniet sich vor das Holzbrett und beginnt. Für den Gast sieht es aus wie ein geheimnisvolles Ritual. „Eigentlich ist es eine sehr logische Abfolge“, wird der 36-Jährige hinterher sagen. Mihaljevics Oberkörper wippt sanft nach vorne, scheinbar völlig von selbst kippt die hölzerne Schöpfkelle in seiner Hand in den Wasserkessel. Er wippt zurück, die Kelle leert sich in der Teeschale. Fließend wie das Wasser selbst wirken die Bewegungen.

Richtig atmen lautet ein Schlüsselsatz, dann stimmt der Rhythmus, dann gelingt der „Tanz mit dem Tee“, sagt Staufenbiel. Genauso wichtig: „Es geschehen lassen. Wir lassen zu, dass der Tee geschieht.“ Mit einem Bambusbesen schlägt Mihaljevic das Grüntee-Pulver (Matcha) mit dem Wasser auf. Die erste Schale gehört dem Lehrer. Nachdem er ausgetrunken hat, säubert der Schüler das Gefäß und beginnt von Neuem. 20 Minuten dauert eine Teezeremonie für eine Person in etwa.

Auch die Schale für den Gast ist geleert. Die Zeremonie zu Ende und das Geheimnis ein wenig gelüftet. Draußen neigt sich der Nachmittag seinem Ende entgegen, die Gartentür fällt ins Schloss. Wir sind wieder am Rand von Oberrüsselbach angekommen.

Keine Kommentare