Parodie auf Hitchcock

24.10.2014, 17:43 Uhr
Parodie auf Hitchcock

© Udo Güldner

Der Plot der reichlich eindimensionalen Romanerzählung John Buchans, die während des Ersten Weltkriegs erschien, ist nicht sonderlich verwickelt. Eine Geheimorganisation, „Die 39 Stufen“, will wichtige Konstruktionspläne für Flugzeugmotoren den Feinden Englands in die Hände spielen. Ein unbescholtener Bürger gerät in das Geflecht aus Mord, Entführung und Korruption – und unter Verdacht. Den kann er nur entkräften, wenn er seine Unschuld beweist – ein typisches Setting im Agentenfilm.

Zwischen den Polizisten hier und den Spionen dort verfolgt und flüchtet er durch die Handlung bis zum blutigen Showdown, der natürlich auch herzenstechnisch die Erlösung bringt. Das Quartett des Landestheaters Dinkelsbühl macht aus der spannenden Geschichte im Hutumdrehen eine witzige Persiflage, bei der das Publikum mehr als einmal über die Verwandlungskünste staunt.

Jovialer Polizeichef

Thomas Tucht etwa mimt den jovialen, doch mit den Agenten unter einer Decke steckenden Polizeichef, die näselnde, jungen Liebenden zugetane Hoteliersfrau, die buntbeschürzte Putzfrau, die wie immer über frühmorgendliche Leichen stolpert, oder den Vorzeigebösewicht Professor Jordan, den wie viele finstre Gestalten der Weltliteratur ein körperlicher Makel zeichnet. Wie um seine mangelnde Loyalität zum britischen Vaterland deutlich sichtbar machen zu wollen, entbehrt der Chef der „39 Stufen“ einiger Glieder des Ringfingers.

Seine gefühlt über 60 Charaktere verkörpert Andreas Peteratzinger als charlie-chanige Denkmaschine Mr Memory, in dessen Gehirnwindungen sich das Geheimnis verbirgt, als eifersüchtiger und geldgieriger Schotte mit schwäbischem Zungenschlag oder als Büstenhalter-Verkäufer mit geringer geistiger Oberweite. Zusammen spielen Peteratzinger und Tucht die trenchcoatigen Klischee-Spione, die unter der selbstmigebrachten Laterne rauchen und sinister blicken.

Fallschirmende Stunts

Sie sorgen als Parodie auf die legendären Keystone-Cops der Hollywood-Slapstick-Filmchen, die trotteligen Verfolgungsjagden nicht gewachsen sind, für Erheiterung. Sie dürfen, im Gegensatz zur cineastischen Vorlage, als abgestürzte Hubschrauberpiloten fallschirmende Stunts durchführen. Und sie kümmern sich auch schon einmal darum, dass Requisiten, die nicht in der Landschaft herumstehen, etwa Wasserfälle, Stechginsterbüsche, Schafherden, Flüsse oder Weidezäune, zum Leben erwachen.

Zuweilen spielt das Duo auch gleichzeitig vier Rollen, indem sie blitzschnell Hüte wechseln und Sprechweisen ändern. Eine Meisterleistung an Timing. Keine der berühmten Szenen der Filmgeschichte wird gestrichen. Weder der Sprung Richard Hannays von der schottischen Forth-Bridge, die zur pantomimischen Glanzleistung Julian Niedermeiers wird. Noch die aberwitzige Hetzjagd über das Moor, bei der sogar Hubschrauber vorkommen. Schon gar nicht die Episode, in der der „maßvoll verwilderte“ Gejagte auf einem Bauernhof in den Highlands Unterschlupf findet. Die Hitchcock-Idee, den misstrauischen Bauern von außen durchs Fenster blicken und dabei seine Perspektive einnehmen zu lassen – er sieht nur, er hört aber kein Wort – ist originell gestaltet.

Sämtliche weibliche Hauptrollen spielt Stefanie Steffen: die der bald erstochenen Spionin Annabella Schmidt, die der einsamen, nach Abwechslung dürstenden Bauersfrau und die der Dame im Zug, die zuerst mit Handschellen, später wohl mit den Eheringen, an den Hobby-Spion gekettet ist. Bleibt nur noch eine Dame, die sich fast immer im Hintergrund hält, akustisch aber jede Szene dominiert: Die Geräuschemacherin Katharina Felling, die nicht nur in bester Stummfilm-Manier mit Piano-Live-Musik die dramatischen Entwicklungen untermalt.

Todesschreie der Frauen

Etwa wenn die „39 Stufen“ zu Beethovens Schicksalsmotiv durch die Kulissen schleichen. Sie sorgt aber auch für die Todesschreie gemeuchelter Frauen, für Harmlosigkeit antäuschendes Vogelgezwitscher, für das aus B-Movies berüchtigte Käuzchen und als leibhaftige Sirene für betörende Töne. Im Finale werden aus Geräuschen echte Geschosse, wenn sie Professor Jordan mit einer Kugel in den vorzeitigen Ruhestand und die Zuschauer in Begeisterung versetzt.

Das VHS-Theater wird am Mittwoch, 14. Januar 2015, um 19.30 Uhr fortgesetzt. Dann zeigt das Fränkische Theater Schloss Maßbach „Halbe Wahrheiten“ in der Jahnhalle. Karten im Vorverkauf bei der Buchhandlung Streit am Rathausplatz in Forchheim.

Keine Kommentare