Politisches Kabarett für 18 Cent pro Minute

21.1.2015, 17:59 Uhr
Politisches Kabarett für 18 Cent pro Minute

© privat

„Heute wird alles nur noch ausgerechnet“, schimpfte Erwin Pelzig, Cord-Hütli auf dem Wuschelkopf, Täschli am Handgelenk. Eine halbe Million Euro kostet ein Kind seine Eltern von der Geburt bis zum 18. Geburtstag, hat mal einer berechnet. Das lässt sich auch auf die Minute herunterbrechen. So wie der Besuch einer Kabarett-Veranstaltung. Weitaus länger als zwei Stunden schlug der Unterfranke Frank-Markus Barwasser sein Publikum in den Bann. Das sind 18 Cent pro Minute. Pelzig: „Des is fei scho günstig.“

Was ist wahr

Zum Schnäppchenpreis also erlitten die Zuschauer Pelzigs Suche nach der Wahrheit mit. Was ist wahr und was nur erfunden? „Es gibt so viele Wahrheiten.“ Die von Pegida und die der Islamisten, die der Soziologen und die des Internets. Pelzig selbst ist nur erfunden, was es nicht leichter macht.

Der Journalist Barwasser, nächsten Monat 55 Jahre alt, sammelt Mappen zu allen Themen, die ihn interessieren. Zu Ursula von der Leyen, zur Finanzkrise (vor allem), zu Spar-Tipps, zu Gott und der Welt und zu Allah auch. Erwin Pelzig schaut sich das Material durch und verzweifelt als kunstfigürlicher Kleinbürger an der Suche nach Wahrheit. Aber nur beinahe, denn: „Warum soll ich mich heute schon aufhängen, wenn es nächstes Jahr viel bessere Gründe dafür gibt?“

Für die Bühnentournee „Pelzig stellt sich“ reaktivierte Barwasser seine alten Radio-Gefährten Hartmut und Dr. Göbel. Die Geschwindigkeit, mit welcher er zwischen den Charakteren wechselt, wäre pro Minute einen Extra-Cent wert gewesen. Das Publikum dankte mit rasendem Applaus nach jeder dieser Dreier-Runden für eine Person.

„Ich habe ja nur Fragen“, stapelt Pelzig tief. Doch jede Frage klingt wie ein Statement zum Thema Gerechtigkeit. Ist es gerecht, wenn 85 Personen auf der Welt so viel besitzen wie dreieinhalb Milliarden andere Personen zusammen? Ist das Rentenpaket gerecht, das die kommenden Generationen extrem belastet? Geht es den Deutschen wirklich so gut, wie uns glauben gemacht werden soll? Hier gibt Pelzig ausnahmsweise selbst eine Antwort: „Natürlich geht es Millionen gar nicht gut.“ Mit Ausrufezeichen.

„Kognitive Dissonanz“

Barwasser/Pelzig/Hartmut/Dr. Göbel leidet an schwerer „kognitiver Dissonanz“, stellvertretend für uns alle. Das heißt: Du triffst eine Entscheidung und stellst hinterher fest, dass die Alternative besser gewesen wäre. Wie damit umgehen? Pelzig: „Man muss sich heute viele Dinge schön reden.“ Kaufentscheidungen etwa, den Ehepartner, die Regierung.

Pelzig, Advokat und Sympathieträger der kleinen Leute, hat aber auch klare Feindbilder. Pegida zum Beispiel, die „Bewegung der verkürzten Denkwege“. Ausgerechnet in Sachsen, wo sich gerade einmal 21 Prozent der Bevölkerung zum Christentum bekennen, soll das christlich-jüdische Abendland gerettet werden: „Von gottlosen Ossis, da lach’ ich doch.“

Oder die IS-Killer, die als Märtyrer im Jenseits auf 72 Jungfrauen hoffen: „Den Beschiss gönn’ ich ihnen.“ Oder Politiker, die, selbst am Zügel der Finanzmärkte geführt, uns nicht die Wahrheit sagen. Obwohl: Die haben es auch nicht leicht. „Sie machen uns nur vor, was sie sich selbst vormachen.“

Die SPD zum Beispiel. Sie hält sich für den Aktivposten der Regierung: „Schon lustig, wenn der Steigbügel meint, das Pferd zu sein.“ Oder die CSU, die ständig neue Ideen ausstreut, von denen scheinbar „keine zu blöd“ ist: „Wenn die CSU ein Kind wäre, würde man sie mit Ritalin vollpumpen.“

Weil das Polit-Personal schon lange nach dem Zufallsprinzip ausgesucht werde (er führt dazu eine Mappe), loste Pelzig aus dem (mit Losen präparierten) Publikum eine neue Landwirtschaftsministerin, deren Fahrerin und einen Bundespräsidenten. Ihre Namen? Die zu merken lohnt erst gar nicht.

Keine Kommentare