Puppendoktor hält Sprechstunde in Forchheim

14.12.2017, 18:35 Uhr
Puppendoktor hält Sprechstunde in Forchheim

© Fotos:Bösl

"Das war ein Gewaltakt." Für Günter Geier ist der Fall klar. So einfach können die Beingelenke nicht ausbrechen. Er muss transplantieren und der Patientin ein paar neue Beine anbringen. Bis morgen wird die Puppe aber entlassen – Patientin 073 bekommt einen grünen Zettel angeheftet, der Angehörige einen Abholschein.

Der nächste Fall ist schwierig. Der dunkelhaarigen Schönen mit den Zöpfen sind die Augen in den Schädel gefallen. Geier muss chirurgisch ran. Er zückt ein Messer und öffnet die Schädeldecke, nachdem er die Haare entfernt hat. Einfach kleben lassen sich die Augen nicht, der Leim würde nicht halten. Grau, so wie die Puppenmutter es gern hätte, werden die neuen Pupillen wohl nicht. Es passen nur die blauen. Geier holt handgeblasene Ersatzaugen, die täuschend echt aussehen. Er hat noch hunderte davon, in sämtlichen Größen und Farben. Die nächsten Patienten stehen schon Schlange: Gisela Hammerschmidt ist aus Ebermannstadt gekommen, um ihre zirka zehn Zentimeter großen Püppchen behandeln zu lassen. Sie teilt mit ihnen ein schweres Schicksal. 1945 floh sie im Alter von neun Jahren mit ihrer Schwester und den Eltern aus Schlesien über Münster nach Berlin. "Wir durften auf die Flucht nur kleine Puppen mitnehmen", erinnert sie sich. Fanden sie und ihre ältere Schwester irgendwo ein paar Wollfäden, fertigten sie daraus winzige Hosen und Jacken für ihre Schätze. Sie ist beruhigt, als Geier seine Diagnose stellt: Nur zwei der fünf müssen behandelt werden. Nummer 075 und 076 reihen sich ein. Für das nächste Opfer kommt seine Hilfe jedoch zu spät: Nach einer spielerischen Hundeattacke ist Inge von der Marke Schildkröt an Kopf, Knie und Hand verletzt. Da das Material, aus dem ihr Körper besteht, schon ausgetrocknet ist, ist da nichts mehr zu machen. Doch Geier kann Ersatz besorgen. "Hunde sind oft eifersüchtig auf Puppen", weiß er.

Wie stark die Bindung mancher Menschen an ihre Puppen oder Teddybären sein kann, hat Geier oft erlebt. Einmal brachte ihm eine alte Dame eine misshandelte Puppe: Ein russischer Soldat hatte ihr mit einem Bajonett den Bauch aufgeschlitzt — wohl um zu gucken, ob Geld oder Schmuck darin versteckt war. Jahrzehnte später hörte ihre Besitzerin vom Puppendoktor. Und sie machte sich mit ihrer Lisa auf den Weg zu ihm. Als sie ihren genähten Liebling abholte sagte sie: "Jetzt kann ich beruhigt sterben." Der Satz lässt Geier nicht los.

Dabei hat er schon viel erlebt. Einmal bekam er Patienten aus Neuseeland eingeflogen — per Luftpost. Acht mal schon war er bei der "Ein Herz für Kinder Gala" und saß dort unter anderem neben den Klitschko-Brüdern auf dem Sofa. Sein nahender Ruhestand macht ihm ein bisschen Angst. "Was mach ich bloß im Winter?" Helfen wird er Frau Ute aber wohl doch. Als Assistenzarzt.

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