Stolpersteine in Forchheim: "Wir sehen nicht mehr tatenlos zu"

21.2.2018, 19:20 Uhr
Stolpersteine in Forchheim:

© Fotos: Ralf Rödel

Aleyna Altuntas, Schülerin der 9. Klasse der Ritter-von-Traitteur-Schule (RvT), Alexander Büttner aus der 8. Klasse und Schülersprecherin Madeleine Haller aus der 10. Klasse erinnerten am Paradeplatz vor mehreren Dutzend Besuchern an die Familie Braun. Ilse Cilly Israel, geborene Braun aus Forchheim, zur Schule gegangen in der katholischen Mädchenschule (heute Martinschule), später verheiratet in Heidelberg, kehrte im September 1941 in ihre Heimatstadt zurück, nachdem ihr Ehemann in die USA emigriert war.

Sie zog ins Haus Paradeplatz 4, das einst ihrem Vater Gottlieb Braun gehört hatte. Nun hatten es die Behörden zum "Judenhaus" erklärt und einige Forchheimer jüdischen Glaubens hier zwangseinquartiert. Am 27. November, 10 Uhr, wurden acht Juden gezwungen, einen offenen Lastwagen zu besteigen (zwei kamen aus der Wiesentstraße 16). Von Forchheim fuhr der Lkw nach Bamberg, mit dem Zug ging es nach Nürnberg, anschließend mit zahlreichen anderen Juden aus der Region nach Riga in Lettland. Dort verliert sich die Spur, sie wurden umgebracht: Ilse Cilly Israel, ihr Vater Gottlieb Braun, ihre Mutter Rosa Braun, Jenny und Leo Abraham, Flora Heller, Ida Schönberger und Grete Zeidler.

Stolpersteine in Forchheim:

Ali-Mert Demirkaya, Schülersprecher der RvT (10. Klasse), hatte sich mit Gottlieb und Rosa Braun intensiver beschäftigt. Vor dem Haus Klosterstraße 13 sprach er über einen "schleichenden Prozess". Jahrzehntelang hatte die Familie Braun friedlich mit ihren christlichen Nachbarn zusammengelebt. Dann wurde sie ausgegrenzt, enteignet, entrechtet, deportiert und zuletzt ermordet.

Schülersprecherin Julia Ciftci erinnerte an die Fotos, die eine Frau von den Deportierten im Augenblick ihrer Deportation gemacht hatte: "Rosa Braun blickt auf der Ladefläche des Lkw ein letztes Mal auf ihre Heimatstadt zurück." Im März 1942 wird schließlich Gottlieb Brauns Schwester Emma Rosalie abgeholt und in den Tod geschickt. Sie hatte zunächst bleiben dürfen, um ihre 94-jährige Mutter Karolina zu pflegen. Die Mutter starb im Februar. Ihr Tod war Emmas Todesurteil. Oberbürgermeister Uwe Kirschstein (SPD) dankte als Schirmherr den zahlreichen Gästen der Aktion für ihr Erscheinen. Diese Form der Erinnerungskultur, sagte er, lasse ihn "positiv in die Zukunft blicken".

Pfarrer Christian Muschler (Christuskirche) hatte mit einem Zitat von Joachim Esberg aus Wolfenbüttel eingeleitet, der 1940 im KZ Auschwitz starb. Was er denn verbrochen habe, schrieb Esberg im belgischen Exil in einem Gedicht: "Tat etwa ich, was man nicht tut? Ach, ich vergaß, ich bin ein Jud’." Die Stolpersteine, so Pfarrer Muschler, erinnerten daran, dass "niemandem die Menschlichkeit und Würde abgesprochen werden darf. Sie dokumentieren konkrete Lebensschicksale von Bürgern unserer Stadt". Sie verhinderten, "dass wir sie und das dahinter stehende Schicksal einfach so übergehen".

Seyran Reyhan, RvT-Vertrauenslehrerin, erklärte, die Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte seien "hier, um ein Zeichen zu setzen". Dafür, "dass wir nicht mehr die Augen verschließen, dass wir nicht mehr tatenlos zusehen und verstummen, wenn Menschen wegen ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder ihrer Religion" ausgegrenzt und verfolgt werden.

Die Zeremonie des Verlegens wurde von Wolfgang Knauer und Alex Feser jeweils mit Klezmermusik untermalt.

Im Haus Paradeplatz 4 ist heute ein Teil von Foto Brinke zur Miete untergebracht. Geschäftsführer Frank Brinke sagte den NN, er finde das Verlegen der Stolpersteine in Forchheim "extrem gut und wichtig". Noch schöner wäre es aus seiner Sicht, wenn es nicht bei der Erinnerungskultur bliebe, sondern auch wieder jüdisches Leben sich in der Stadt entwickelte: "Aber dafür ist Forchheim wahrscheinlich zu klein."

Traudi Harrer betreibt in der Klosterstraße 13 ihre Rechtsanwaltskanzlei. Eine "gute Sache" seien die Stolpersteine und dass es sie jetzt auch in Forchheim gebe. Gunter Demnig, der abends einen Vortrag hielt, begann seine Aktion 1992. Inzwischen liegen in 21 Ländern über 65 000 Stolpersteine. Nach Forchheim geholt hat die Aktion das Netzwerk für Respekt und Toleranz.

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