Unterleinleiter: Ruf der Pflegeoase schallt bis nach Japan

3.6.2018, 09:00 Uhr
Unterleinleiter: Ruf der Pflegeoase schallt bis nach Japan

© Ralf Rödel

Unterleinleiter: Ruf der Pflegeoase schallt bis nach Japan

Das alte Piano im Foyer, um das sich die schweren grünen und roten Ledersessel gruppieren, bleibt heute stumm. Geschirrgeklapper liegt in der Luft und der Duft nach frisch gebrühtem Kaffee. Es ist Kaffeestunde im "Lindenhof".

Aus dem ehemaligen Café mit angeschlossener Pension am Ortsende von Unterleinleiter ist im Jahr 2000 ein Pflegeheim geworden, den Namen hat man kurzerhand behalten.

Doch der Lindenhof ist kein klassisches Seniorenheim, es ist vielmehr "die einzige geronto-psychiatrische Einrichtung im gesamten Landkreis Forchheim",erklärt Pflegedienstleiter Matthias Bretfeld, also eine Einrichtung, die speziell auf die psychischen Erkrankungen im Alter eingeht. Eine "geschlossene" Einrichtung ist es, wobei Bretfeld das Wort "geschlossen" dabei nicht in den Mund nehmen will. Geschlossen, das klinge viel zu sehr nach Anstalt, nach Eingesperrtsein, nach Gefängnis. "Beschützend", so Bretfeld, sei der Lindenhof, "die Menschen, die hier leben, hat man uns anvertraut."

Die Türen nach außen lassen sich deswegen nur mit einem Sicherheits-Zahlencode öffnen, eine Hecke und ein Zaun dienen dabei den Bewohnern als Schutz.

Und den brauchen die rund 40 Bewohner, die ihre letzten Lebensjahre hier in Unterleinleiter verbringen auch: "Jeder, der hier lebt, hat einen richterlichen Unterbringungsbeschluss." "Unser Heim ist nichts für den rüstigen Senior", schiebt Bretfeld hinterher, denn Menschen, die im Lindenhof leben sind weglaufgefährdet und schwer demenzkrank.

Rund drei Monate Wartezeit auf einen freien Platz hat der Lindenhof, vor sieben Jahren wurde deswegen vergrößert und angebaut. Sieben Mitarbeiter kümmern sich dabei um die 40 Bewohner die zwischen 60 und knapp 100 Jahre alt sind. Anfragen bis aus dem Raum Bamberg, Hassberg und München gibt es, "die suchen sich ganz gezielt den Lindenhof aus", sagt Bretfeld.

Denn der Lindenhof geht in der Altenpflege ganz bewusst neue Wege: Es gibt eine Gartengruppe, die sich um die Hochbeete, die sich rund um die Terrasse gruppieren, kümmert. Hier gedeihen Tomaten, Zucchini, wächst Minze und Schnittlauch. Der Garten mit Terrasse ist dabei auch mit dem Bett und mit dem Rollstuhl befahrbar, um so wichtige Sinneseindrücke wie Sonne auf der Haut, erlebbar zu machen. Auch Musik, so Bretfeld, sei enorm wichtig: "Singen, Lieder und Gebete gehen erst ganz zum Schluss".

Die großen bodentiefen Fenster lassen viel Licht und Luft ins Innere, die Flure im Haus sind wie in einer Spirale als Rundgang angelegt: "Es gibt wenig Grenzen", so Bretfeld, "das wäre fatal für die Demenzkranken, denn Demente haben einen großen Bewegungsdrang".

Das bedeute auch, dass "bei uns tagsüber keiner im Zimmer oder im Bett ist. Der Lebensraum des Menschen ist nicht das Bett."

Zum Gesamtkonzept des Lindenhof gehört auch die Pflegeoase, die im Erdgeschoss Raum für neun Betreuungsplätze bietet. Das Angebot dort richtet sich an Bewohner mit einem breiten Spektrum an Krankheitsdiagnosen, mit weit fortgeschrittener Demenz und hoher Pflegebedürftigkeit, bei denen keine Verbesserung der Lebenssituation mehr zu erwarten ist.

"Wir waren deutschlandweit mit die ersten, die eine Oase hatten", sagt Bretfeld. Hier werden die Sinne der Bewohner ganz bewusst angesprochen, eine spezielle Lichtdecke simuliert den Sonnenaufgang und den Sonnenuntergang. Das helfe, die Aktivität zu steigern, so Bretfeld, gegen Abend werde das Licht gedimmt, das signalisiere dann "ich schlafe, wenn es dunkel ist".

Ganz bewusst wurde das Augenmerk auch auf die Einrichtung gerichtet, der Fußboden ist in Holzoptik, die Vorhänge lindgrün, die Markise in knallrot bietet einen kräftigen Kontrast. Die Farben sollen dabei Einfluss auf das Wohlbefinden der Bewohner ausstrahlen, helle Farben und sanfte Farbtöne sollen Ruhe und Leichtigkeit vermitteln.

Von 2012 bis 2016 wurde die Oase von der Evangelischen Hochschule Nürnberg wissenschaftlich begleitet. Was die Experten bei ihren vierjährigen Studien in Unterleinleiter herausgefunden haben, lässt aufhorchen: "Die Bewohnerinnen und Bewohner können aufgrund der intensiven Pflege und Betreuung als ruhiger, ausgeglichener und entspannter wahrgenommen werden. Analgetika und Psychopharmaka konnten in den meisten Fällen reduziert oder ganz abgesetzt werden", schreibt Kathrin Holthoff in ihrer "wissenschaftlichen Begleitung der Pflegeoase Lindenhof".

Doch nicht nur bis Nürnberg eilt der Ruf der Oase: Auch die japanische Universität in Fukuoka hat in den Jahren 2002 und 2005 zwei Delegationen von Professoren in das Seniorenzentrum Lindenhof entsandt. Einmal jährlich macht eine "International School" im Rahmen ihres Sommersemesters Station in Unterleinleiter. Die Studenten, die meist Sozialpädagogik, Medizin oder Pflege studieren, kommen dabei aus Norwegen, England, der Schweiz und den USA.

Während eine Etage höher die Bewohner zumeist in Einzelzimmern leben, ist in der Oase "Privatheit nicht mehr von Bedeutung", so Bretfeld.

Um den großer Raum mit einem Essbereich in der Mitte, gruppieren sich die Schlafzellen, die mit Schiebetüren abgetrennt werden können. Auch die Pflegekraft hat hier ihren PC-Arbeitsplatz für die Verwaltungarbeiten und kann so immer für die Bewohner da sein. Gerade im Endstadium der Demenz, so Bretfeld, "macht Alleinsein Angst". In der familiären Kleingruppe der Oase jedoch könne es durchaus beruhigend sein, wenn im Raum nebenan einer schnarcht.

An den Wänden tanzen bunte Schmetterlinge, im Garten zwitschern die Vögel, auf dem Kalender an der Wand blüht der Raps in leuchtendem Gelb: "Mögest du stets einen Platz finden, an dem du dich wohlfühlst", sagt der Kalenderspruch.

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