Unzeitgemäße Zeiterscheinungen

22.9.2007, 00:00 Uhr
Unzeitgemäße Zeiterscheinungen

© Protzeller

Von den guten alten Zeiten träumten jene Nostalgiker, die beim Fürther Eisenbahnfestival den Museumszug nach Cadolzburg bestiegen hatten. Jäh aus ihren Träume gerissen wurden sie allerdings, als anstelle eines stilvollen Schaffners mit Münzenkasse und Lochzange plötzlich die Hilfssheriffs der DB Regio Bayern aufkreuzten und ihnen gegen 40 Euro Schwarzfahrerquittungen ausstellten.

Ein raffinierter Zug der Bahn, um ihre traurige Bilanz auf Kosten unverbesserlicher Bahnfans ein wenig aufzupolieren.

Von solchen Strapazen wollten sich Nürnberger Festivalbesucher am Fürther Marktplatz erholen. Sie hatten freilich nicht mit dem hoch entwickelten Sauberkeitssinn der Fürther gerechnet. Denn kaum hatten sie im Straßencafé Platz genommen, da düste auch schon die Armada der Stadtreinigung an, um die letzten Reste der Grafflmarktorgie zu beseitigen. Nachdem sie von der haarscharf an der Stuhllehne vorbeiratternden Kehrmaschine großzügig mit dem gesammelten Feinstaub der Fürther Grafflszene eingedeckt worden sind, ergriffen die staubigen Brüder in wilder Panik die Flucht. So ändern sich die Zeiten: Früher wurde leidenschaftlich über das schmutzige Fürth gelästert, jetzt über die gnadenlos gründlich zurückschlagende Straßenreinigung.

Wie schön, dass es bei allen Veränderungen auch im Fürther Geschäftsleben noch feste Werte gibt. Unbeeindruckt vom Zeitenlauf wird in einem Laden an der Schwabacher Straße inzwischen museumsreife Unterhaltungselektronik angeboten: Ein stattliches Kofferradio etwa mit gepolsterter Kunstlederhülle oder ein winziger Röhrenbildschirm nebst gigantischer Computerbauteile. Sehr passend bietet ein Schild an der Eingangstür Servicebesuche für tadellosen Antennenempfang an. Mit der Bezahlung wird sich die Kundschaft allerdings hart tun. Der Hausbesuch des Antennentechnikers kostet 25 D-Mark.

Im Jubiläumsjahr wächst Fürth über sich hinaus. Alles gerät größer, und schöner. Jede Veranstaltung ein Superlativ an sich. Davon bleibt auch die Kirchweih nicht unberührt. Zur Feier des 1000-jährigen Kleeblatts ist sie großzügig verlängert worden. Im Eifer des Gefechts wurden große Werbeschilder gedruckt und im großen Umkreis aufgestellt, nach denen die Fürther Michaelis-Kirchweih vom 29. Oktober bis 14. Oktober dauert. Fast ein Jahr also. Eine schöne Vorstellung. Zu schön um wahr zu sein. Deshalb wurden die Plakate überklebt und aus dem 29. Oktober der 29. September. VOLKER DITTMAR