ADHS: "So ein Kind hatten wir hier noch nie"

10.11.2014, 06:00 Uhr
Für Eltern und Kinder, die mit dem ADHS-Syndrom zu kämpfen haben, sind die täglichen Hausaufgaben oft ein Problem.

© colourbox.de Für Eltern und Kinder, die mit dem ADHS-Syndrom zu kämpfen haben, sind die täglichen Hausaufgaben oft ein Problem.

Früher nannte man ein Kind Zappelphilip und schimpfte, wenn es auffallend impulsiv war, schnell abgelenkt und notorisch unruhig. Heute gibt es einen Namen für dieses Verhalten. Und Hilfe. Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit oder ohne Hyperaktivität, abgekürzt als ADHS, ist inzwischen „im Alltag angekommen“, sagt Ute Höhn. Eltern und betroffene Kinder stoßen nicht mehr auf blankes Unverständnis. Das ist die gute Nachricht. Doch für die 53-Jährige gibt es noch immer viel zu tun.

„Auch heute gibt es Eltern, die auf sehr viel Unverständnis stoßen und die beim Gespräch in Kindergarten oder Schule Sätze hören wie: ,So ein Kind wie Ihres hatten wir hier noch nie‘.“ Es sei wichtig zu verstehen, warum Jungen und Mädchen auf diese besondere Art und Weise reagieren: „Bei ihnen liegt eine andere Art der Verarbeitung von Informationen vor.“ Eine Störung der Schaltprozesse im Gehirn ist der Grund, der es schwer macht, zu entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Ute Höhn macht klar: „Jeder, der mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, sollte sich in dieses Thema einarbeiten.“ Fachleute gehen davon aus, dass acht bis zwölf Prozent der unter 18-Jährigen in Deutschland unter den bekannten Symptomen leiden.

Sehr vieles hat sich in den vergangenen zehn Jahren getan, Entscheidendes wurde bereits erreicht. Daran lässt Ute Höhn keinen Zweifel. Doch gerade beim Thema Inklusion in der Schule, das heißt beim gemeinsamen Lernen von Schülern mit und ohne Behinderung, sieht nicht nur sie weiteren Handlungsbedarf. Die Einladung der Netzwerker an die anerkannte Expertin Cordula Neuhaus spricht dafür. In der Aula der Stadelner Grundschule spricht sie am 13. November, ab 19.30 Uhr, über das Thema: „Inklusion von Kindern und Jugendlichen kann gelingen“.

Unterstützung für Lehrkräfte

Da fragt man sich natürlich, woran es bislang noch fehlen könnte? Für Ute Höhn steht fest: „Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, und daran mangelt es derzeit zu oft.“ Die Schulen und vor allem die Lehrkräfte bräuchten mehr Unterstützung, sie würden vielfach alleine gelassen. Wichtig seien unter anderem zusätzliche pädagogische Hilfskräfte, die im Unterricht mitwirken. „Erst dann kann individuell und ganz konkret auf jedes einzelne Kind eingegangen werden.“ Für sie liegt derzeit eine Feststellung auf der Hand: „Der Staat macht es sich in diesem Punkt zu einfach.“ Denn erst, wenn die Lehrkräfte die entsprechende Hilfe bekommen, sei es in der Praxis möglich, den Anforderungen wirklich gerecht zu werden: „Es gibt ja tatsächlich viele relativ unkomplizierte Maßnahmen, die zum Beispiel ADHS-Kinder und -Jugendliche unterstützen – wenn der Wille und die Zeit da sind, diese Methoden einzusetzen.“

Wie gut der Umgang mit der Krankheit gelingen kann, hat Ute Höhn erlebt. Ihr jüngster Sohn, der inzwischen 22 Jahre alt ist, war Grund und Motor für ihr Engagement. „Er hat eine sehr positive Entwicklung gemacht, kann prima damit leben.“ Der junge Mann ist bereits Erzieher, macht nun eine weitere duale Ausbildung und möchte Diakon werden. „Mit ADHS geht er heute ganz offen um.“

Inzwischen engagiert er sich wie seine Mutter in der Aufklärungs- und Informationsarbeit. Zu den kontrovers diskutierten Themen, die dabei meist unweigerlich zur Sprache kommen, gehört die Gabe eines Medikaments, das die Symptome von ADHS lindern soll.

Ute Höhn hat erlebt: „Es ist ein ungutes Gefühl, sagen zu müssen, mein Kind braucht Medikamente, um durch die Schule zu kommen.“ Ihr Sohn habe mit 16 Jahren zum letzten Mal zu dieser Medizin gegriffen und zwar für die Abschlussprüfung in der Realschule. „Danach, in Berufsschule und Fachakademie, musste er es nie wieder nehmen . . .“

In der nächsten Zeit will sich die aktive Mutter nun mehr und mehr aus der Arbeit für ADHS-Kinder und ihre Familien zurückziehen. Sie hat erlebt, wie sehr der Alltag aller Angehörigen von der Krankheit geprägt wird und sagt jetzt: „In meinem Leben gibt es noch andere Dinge außer ADHS. Darum will ich mich in Zukunft verstärkt kümmern.“

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