Als an der Bibert noch die "Zorro-Bande" lauerte

26.8.2017, 10:00 Uhr
Als an der Bibert noch die

© Repro: Klaus Übler/Geschichtswerkstatt Zirndorf

Kein Erzählcafé ohne Notizbuch. Für Klaus Übler ist das kleine blaue Heft wichtiger als Gebäck und Dampfendes in der Tasse: "Hier schreib‘ ich mir Namen und Telefonnummern von den Gästen auf, damit wir uns vielleicht noch mal länger unterhalten können", sagt der 73-Jährige.

Als an der Bibert noch die

© Fotos: Rempe

"Wir", das sind die Kollegen von der Geschichtswerkstatt Zirndorf, einer Gruppe von engagierten Amateurhistorikern, die notieren und bewahren, was sonst vielleicht für immer in Vergessenheit geriete.

Als an der Bibert noch die

Was für spannende und wichtige Zusammenhänge da zu entdecken sind, wird auch an diesem Kirchweihnachmittag im Zirndorfer Café Goldjunge schnell klar. Klaus Übler selbst wurde zum Beispiel bei seinem Engagement für die Geschichtswerkstatt mit Ereignissen konfrontiert, die für ihn ganz persönlich von Bedeutung sind.

In Weiherhof verhaftet

Bei den Recherchen zu einer umfassenden Broschüre zum 100. Jubiläum der SPD in Zirndorf stieß er Ende der 80er Jahre auch auf die Biografie von Heinrich Stöhr. Der SPD-Politiker war am 26. April 1934 in Weiherhof, wo er damals wohnte, verhaftet und später im sogenannten "SPD-Hochverratsprozeß" zu einer drakonischen Strafe verurteilt worden, weil er mutig Flugblätter und Zeitungen verteilt hatte, die die NS-Diktatur anprangerten.

Als an der Bibert noch die

Klaus Übler erkannte: "Im gleichen Prozess wie Heinrich Stöhr war auch mein Vater verurteilt worden." Leonhard Übler, den Freunde Loni riefen und der sich zuvor unter anderem als jüngster Ehrenamtlicher der Wohlfahrtspflege der Stadt Nürnberg für die Rechte der Arbeitnehmer eingesetzt hatte, kämpfte auch nach der Machtübernahme gegen den Nationalsozialismus und wurde deshalb im KZ Dachau eingesperrt. Nach dem Krieg nahm er sein tatkräftiges Engagement umgehend wieder auf. Heute trägt der Kulturladen in der Nürnberger Marthastraße Loni Üblers Namen.

Als an der Bibert noch die

Zum Zirndorfer Marktplatz, genauer ins einstige Gasthaus "Rotes Ross", führt die Geschichte von Ursula Lang. "Im zweiten Stock des Hauses bin ich 1947 zur Welt gekommen", weiß sie. Die Hebamme, so hat man ihr erzählt, sei eine ausgesprochen burschikose Frau gewesen: "Als die schwierige Geburt geglückt war, hat sie vor lauter Entzücken ein Holzscheit aus dem offenen Fenster gefeuert. . ."

Der ungewöhnliche Begeisterungsausbruch erwischte zwei GIs, die just in diesem Moment am Gasthaus vorüber gingen und sich verständlicherweise angegriffen fühlten. Die beiden Amerikaner stürmten wütend die Treppe hoch – und erfuhren von dem freudigen Ereignis. "Das Tolle ist", sagt Ursula Lang, "dass sie dann auch sehr begeistert waren." Aber nicht nur das. "Sie kamen später noch oft vorbei und brachten kleine Geschenke mit. Seife, zum Beispiel, und Windeln, die aus Fallschirmseide geschnitten waren."

Leonhard Lehnert ist zum ersten Mal beim Erzählcafé dabei. Er nennt sich einen "Jung-Zirndorfer", schließlich, sagt der 86-Jährige, lebt er erst seit 1984 in der Bibertstadt. Geboren wurde er unweit von dort im Oberasbacher Ortsteil Altenberg.

Seine Kindheit endete allerdings spätestens, als er mit 13 abkommandiert wurde, nach verheerenden Bombenangriffen auf Nürnberg gemeinsam mit anderen Hitlerjungen die Toten zu bergen. In einer Flakhelfer-Uniform sollte der Junge später dann die US-Armee an der Stadtgrenze aufhalten. . .

Erlebnisse, die Lehnert niedergeschrieben hat. "Ein fast normales Leben" nennt er seine Biografie, in der er unter anderem auch von den Erfahrungen berichtet, die er in der DDR machte: "1960 bin ich übergesiedelt, drüben hab‘ ich Maschinenbautechniker studiert und Menschen getroffen, die einander immer geholfen haben. 1975, nach der Konferenz von Helsinki, konnte ich zurück in den Westen."

Nicht ganz so abenteuerlich, aber bis heute bewegend ist, was er in den 50ern erlebte: "Wir haben uns immer am Plärrer, dem Zirndorfer Marktplatz, getroffen, auf so a Stängla gehockt und überlegt, wo wir zum Tanzen hingehen sollen."

Ganz hoch im Kurs seien in Zirndorf der Fröbesaal, die Jahnturnhalle oder der Rittersaal gewesen. "Aber wir sind auch nach Fürth in den Geismannsaal oder ins Schwarze Kreuz." Angesagt war: "Rock n‘ Roll, natürlich". Verschmitzt gibt Leonhard Lehnert preis: "Ich war a weng so an Eintänzer, zu mir sind die Madla immer gekommen und wollten tanzen." Selbst heute, gesteht der 86-Jährige lachend, packt es ihn, wenn die richtige Musik im Radio kommt: "Da lieg‘ ich im Sessel und zappel‘ mit die Bein‘."

Werner Lang kam im November 1944 im Egerland – heute zählt die Region zu Tschechien – zur Welt, er war kaum ein halbes Jahr alt, als seine Familie die Heimat verlassen musste. An seine Kindheit in Zirndorf denkt er gern zurück: "Der Wald war unser Wohnzimmer, wir durften noch richtig Kind sein und dort ganz für uns spielen."

In Sommer seien alle in die Bibert zum Schwimmen gegangen, dort spielt sich Anfang der 50er auch ein Abenteuer ab, das Folgen hatte: "In Zirndorf hatten ein paar Jugendliche eine ,Zorro‘-Bande gegründet, die haben uns nach dem Baden aufgelauert."

An Bäumen gefesselt

Gemeinsam mit seinem Bruder habe er gerade noch entkommen können: "Aber meinen Cousin haben sie erwischt." Schnell flitzten die Jungs zum Onkel, der nicht lange zögerte und mitkam: "Da haben wir den Cousin entdeckt, die hatten ihn zwischen zwei Bäumen gefesselt und ihm ein Z auf die Stirn geritzt. . ."

Der unglaubliche Vorfall hatte ein Nachspiel — auch auf dem Schulhof: "Er ist von den Mitschülern immer wieder auf die Geschichte angesprochen worden und dann musste er seinen Pony heben, um die Wunde zu zeigen."

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