Als die Kirche zu den Waffen rief

26.7.2014, 21:00 Uhr
Als die Kirche zu den Waffen rief

© Mark Johnston

Namen von Gedenksteinen abzulesen ist eine Sache. Das Auge schweift über die Zeilen, und bald verschwimmen die Namen und Daten. Namen zu hören ist eine ganz andere Angelegenheit. Eine Klanginstallation in St. Paul will die Gefallenen des Ersten Weltkriegs aus der Gemeinde wieder ins Bewusstsein rücken. 395 Namen. Sie erinnerten auf sechs Tafeln in der Turmhalle die Kirchgänger an brutal abgebrochene Leben. Jedenfalls von 1933 bis 1964, dann wanderten die Tafeln anlässlich der Kirchenrenovierung in eine Abstellkammer. An ihre Stelle rückten Tafeln mit den Gefallenen des Zweiten Weltkriegs.

St. Paul hat eine tolle Akustik. Das hatte Pfarrer Martin Adel bereits wiederholt erfahren. Als Adel und sein Diakon Christian Krause im November vorigen Jahres beim Stöbern die sechs Gedenktafeln wiederfanden, las Adel die Namen laut vor – und auf einmal spürte der Pfarrer, wie sich der Kirchenraum mit Klang füllte, wie das Schicksal der jäh abgebrochenen Leben Gestalt annahm. Und das in einer Garnisonskirche.

Aus dieser Erfahrung heraus entstand die Klanginstallation „Damit die Namen nicht verloren gehen...“ Zwölf Gemeindemitglieder – Pfarrer, Gemeindevorstand, Chorsänger, Konfirmanden und Kinder – sprachen die Namen auf Band. Immer in derselben Reihenfolge: Name, Beruf, Todestag, Alter. Eine Heidenarbeit, denn für die Lesung arrangierten Adel und Krause die Namen um: Nun dominiert nicht mehr die alphabetische Reihenfolge, sondern die chronologische der Sterbetage, beginnend mit August 1914. Rund 100 Minuten dauert die Lesung. Als Endlosschleife tönt sie ab der Eröffnung am Montag Mittag – exakt hundert Jahre nach der Kriegserklärung – eine ganze Woche lang täglich von 8 Uhr morgens bis 21 Uhr abends aus den vier Lautsprechern der Kirche. Damit sich keine Monotonie breit macht, wechselt nach jeweils zehn Namen die Stimme der Sprecher von Männer- zu Frauen- oder Kinderstimme. Solch ein Wechsel bewirkt durchaus emotionale Reaktionen beim Zuhörer, hinterließen die Gefallenen doch Frauen, Mütter und Kinder.

Dazwischen läuft Orgelmusik aus der Zeit von 1914 bis 1918, Organistin Sirka Schwarz-Uppendieck entschied sich für Max Regers Spätwerk, für fünf aus den 30 Choralvorspielen. „Reger hatte sich mit diesem Werk zwar nicht auf den Krieg bezogen, dennoch ist ein Bezug da, denn die Vorspiele sind für Laien gedacht, die jungen Virtuosen hatte man ja eingezogen“, so die Kantorin.

Neben der Musik sorgen Zitate aus der Bibel für Denkanstöße. Das reicht von Kain und Abel über Jesaja, die Bergpredigt und Paulusbriefen bis zur Offenbarung des Johannes. Dabei stehen Gedanken zu Verlust und Trost und der Appell, Frieden zu stiften, im Vordergrund.

Am Dienstag, 29. Juli, beginnt um 19 Uhr in St. Paul ein Vortrags- und Diskussionsabend mit dem Titel „Mit Gott fürs Vaterland? Oder: Suchet den Frieden!“ Alexander Jungkunz, Stellvertretender Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, spricht über die Rolle der Fürther Kirchen im Ersten Weltkrieg, die den Waffengang begrüßten und unterstützten; Norbert Küber (Bayerischer Rundfunk) liest dabei die meist erschreckenden historischen Zitate aus Kriegsgebeten, Feldpredigten und Gemeindeblättern.

Anschließend leitet Dekan Jörg Sichelstiel eine Diskussion über das Verhalten der Kirche damals und schlägt die Brücke zu aktuellen Überlegungen zu Auslandseinsätzen des deutschen Militärs – angestoßen unter anderem vom Pfarrer und Bundespräsidenten Joachim Gauck.

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