Auf der Walz mit Stenz und Charlie

1.9.2015, 21:00 Uhr
Auf der Walz mit Stenz und Charlie

© Foto: Volker Dittmar

Sonntagabend in der Adenaueranlage: Erschöpft vom Trampen aus Würzburg ruhen sich die Wolfsburger Goldschmiedin Sarah, der Wiesbadener Kunstschmied Marco und der Kölner Bäcker Maurice auf dem Rasen aus. „Wir warten hier auf zwei Zimmerer-Gesellen, die auch auf Wanderschaft sind“, sagt Sarah. Am Samstag haben sie sich zufällig auf einer Party getroffen und wollen nun ein paar Tage zusammenbleiben.

Nein, Überwindung habe es ihn nicht gekostet, die vertraute Umgebung zu verlassen, räumt Marco ein. (Den Nachnamen hat auch er auf seiner Wanderschaft abgelegt.) „Man lernt beruflich, kulturell und menschlich so viel, dass sich der Aufbruch wirklich lohnt.“ Drei Jahre und einen Tag muss er nach alter Zunftordnung mindestens unterwegs sein. Und oft geht es in die Verlängerung. So berichtet Rosemarie Kolb aus der Oberasbacher Zimmerei Kolb von einem fahrenden Gesellen und vorübergehenden Mitarbeiter, der acht Jahre auf Wanderschaft war.

Für Unterkunft und Fahrt darf kein Geld ausgegeben werden. Zum Lebensunterhalt muss die eigene Arbeitskraft sorgen. „An Adressen von Übernachtungsmöglichkeiten und Arbeitgebern kommt man vor allem in Wirtshäusern“, sagt Maurice. „Das Landbierparadies oder das Kolpinghaus in Nürnberg sind bevorzugte Anlaufstationen“, weiß der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Fürth, Thomas Mörtel. Aber auch der direkte Weg zu Betrieben ist üblich. Auf dem Mund gefallen dürfen die Gesellen nicht sein, um sich durchs Leben zu schlagen. Sarah: „Kommunikation ist alles.“

Wichtig ist diese Offenheit für neue Bekanntschaften auch, weil Besuche daheim tabu sind. Keine Probleme hat Sarah damit, als Frau allein unterwegs zu sein. Vergangenes Jahr ist auch eine junge Fürther Goldschmiedin auf die Walz gegangen. Die ersten Monate durfte sie von einem Altgesellen begleitet werden, der mindestens schon ein Jahr unterwegs sein muss.

Ausgerüstet mit dem Wanderstab „Stenz“ und das ins Charlottenburger Tuch „Charlie“ geschlagene Bündel aus Schlafsack, Unterwäsche und zweiter Kluft, zieht das Trio aus der Adenaueranlage weiter zum Bahnhof, um die Zimmerer abzuholen. Von Fürth haben die Drei noch nicht viel gesehen, doch die wenigen Eindrücke haben sie nicht abgestoßen. „Jede Stadt hat doch etwas“, sagt Marco und drückt damit auch seine Begeisterung für alles Neue aus.

Organisiert sind die fahrenden Gesellen in Verbindungen namens „Schächte“. Während der NS-Zeit und in der DDR waren sie verboten. Seit 2014 zählt die Walz zum immateriellen Weltkulturerbe. Eine Quelle für Lebenserfahrungen – selbst wenn sie für die Handwerkskarriere nicht mehr vorgeschrieben ist.

Keine Kommentare