Bittersüße Liebe, beklemmende Verzweiflung

16.7.2014, 18:00 Uhr
Bittersüße Liebe, beklemmende Verzweiflung

© Thomas Scherer

„Die kleinen Füchse“ laufen deutschlandweit derzeit nur über die Berliner Schaubühne, in Thomas Ostermeiers Aufsehen erregender Produktion mit Nina Hoss in der Titelrolle. 2014/15 kommt auch Fürth ins Spiel, am 16. Januar. „Eine Ausgrabung, die uns alle überrascht hat“, so nennt Stadttheater-Dramaturg Matthias Heilmann Lillian Hellmans Theaterstück aus dem Jahr 1939, 1941 entstand der Spielfilm mit Bette Davis. Im Mittelpunkt steht die rundum unsympathische Südstaaten-Industriellenfamilie Hubbard, deren Mitglieder beim Thema Geld die Contenance verlieren und auch vor Erpressung nicht zurückschrecken. Die hasserfüllte Regina — die Hauptrolle dieser „Jahrhundertfrau“ ist in Fürth aktuell noch nicht besetzt — zieht alle Register, um am Ende vereinsamt und verloren dazustehen.

Schenkelklopfer gibt’s woanders. Ein Musical ohne singende Knalltüten, zwei Schauspiele und eine Kammeroper schnürt das Stadttheater zu einem Vierer-Paket mit ausnahmslos ernsthaftem, teils erschütterndem Inhalt. Dem Saison-Motto „Jahrhundert Frauen“ wolle sich das Haus, so Intendant Werner Müller, mit Tiefgang und ohne Kompromisse ans allzu Seichte widmen.

Zweifellos ist der Auftakt, Andrew Lloyd Webbers Erfolgs- , aber kein Welterfolgs-Musical „Sunset Boulevard“ noch am ehesten für die Rubrik „gute Unterhaltung“ geeignet, doch auch durch dieses Werk weht der Eishauch der Melancholie und Vergänglichkeit. Als tragisch liebende Stummfilm-Diva Norma Desmond riss Helen Schneider das Publikum bereits 1995 bei der deutschsprachigen Erstaufführung im hessischen Niedernhausen von den Sitzen.

Inzwischen ist die Rolle für die amerikanische Entertainerin so etwas wie eine zweite Haut geworden; zuletzt stand Schneider als Norma in Bad Hersfeld auf der Bühne, und der Regisseur war derselbe, der mit der Premiere am 17. Oktober auch sein FürthDebüt geben wird: Gil Mehmert ist auf dem besten Weg, in der Musicalbranche nach ganz oben zu klettern, soeben wurde er auserkoren als Autor und Regisseur des „Wunders von Bern“, das im November das neue Stage Musical Theater in Hamburg eröffnen soll (übrigens mit Dominic Hees aus der Fürther „next to normal“-Produktion in der Rolle des Siegestorschützen Helmut Rahn). Der Fürther „Sunset Boulevard“ ist ein swingendes Gemeinschafts-Bauwerk mit dem Euro-Studio und geht zwischen zwei Fürther Aufführungsblöcken auf ausgedehnte Deutschland-Tour. Die Choreografie übernimmt, wie schon bei „next to normal“, Melissa King.

Gier, Zerfall einer Ehe, Mutter-Tochter-Konflikte: „Ein sehr aktuelles Thema“, wie Intendant Müller meint. Da viele Anspielungen auf den amerikanischen High-Lifestyle der Dreißiger — schwarzes Hauspersonal etwa — in die Jahre gekommen sind, wurde der Fürther Schriftsteller und studierte Amerikanist Ewald Arenz gebeten, die deutsche Fassung der „kleinen Füchse“ zu bearbeiten — ein völlig neues Aufgabenfeld für den Kulturpreisträger und Autor unter anderem der Stadttheater-Erfolge „Petticoat & Schickedance“ und „Bahn frei!“ Eine Aktualisierung nicht ohne Pikanterie und Rätselspaß — es solle ja, lässt sich Heilmann entlocken, auch in Süddeutschland anno 2014 interessante Industriellen-Clans geben. Wohl wahr.

„Ein Tempo-Taschentücher-Melodram“, spotteten Kritiker 1971 nach der Uraufführung von Rainer Werner Fassbinders autobiografisch durchwirktem Schauspiel „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, deutlich besser davon kam die Filmfassung ein Jahr darauf. Hauptfigur Petra von Kant ist eine Modeschöpferin — im Stück erwartet sie gerade einen Großauftrag von Karstadt - mit Hang zur Ginflasche und zur deutlich jüngeren Karin. Die aber nutzt die lesbische Beziehung allein für die eigene Karriere.

Leiden, Verzweiflung, Schmerz: Dass beruflicher Erfolg nicht immer auch Glanz ins Privatleben bringt, ist die Quintessenz jenes Stückes, über das Dramaturg Heilmann sagt, es sei „unheimlich beklemmend“ und ein plausibler Beleg für den Fassbinder-Boom der vergangenen Jahre an deutschsprachigen Bühnen. In Fürth inszeniert der Intendant, Premiere ist am 10. April.

Und gleich noch ein Dramaturgen-Klartext hinterdrein: „Diese Musik ist nicht Lachenmann, sondern gut konsumierbar, melodisch und auf der Basis vieler jiddischer Volkslieder“, gemeint ist die Kammeroper „Baruchs Schweigen“ aus der Feder der 60-jährigen israelischen Komponistin Ella Milch-Sheriff. Fürth ist das zweite Haus nach Braunschweig, wo man das Werk 2009 in Auftrag gab und 2010 uraufführte. Milch-Sheriff, die in Tel Aviv lebt und schon vor der Premiere am 13. Juni 2015 nach Fürth kommen wird, verarbeitet Details, die ihr lange unbekannt waren — Details aus der Vergangenheit ihrer Eltern. Nach dem Tod des Vaters, des Gynäkologen Baruch Milch, entdeckte sie Aufzeichnungen, aus denen hervorgeht: Seine erste Familie war im Zweiten Weltkrieg in Polen ermordet worden.

Zunächst schrieb Milch-Sheriff das Buch „Ein Lied für meinen Vater“; dies wiederum führte zur Anfrage aus Braunschweig, aus dem Stoff eine Kammeroper zu machen. „Baruchs Schweigen“ nähert sich dem schwierigen, schweigsamen Vater und ist zugleich ein Werk, das für Oberstufenschüler ab der zehnten Klasse geeignet ist. Sein Fürther Regie-Debüt gibt der international gefragte Bruno Berger-Gorski, das Ensemble Kontraste dirigiert mit Walter Kobéra von der Neuen Oper Wien der Musica-NovaFachmann der Opernszene der Donaumetropole.

Abo-Neubestellungen — das Premieren-Abonnement kostet zwischen 70 und 120 Euro — nimmt das Stadttheater Fürth (Königstraße 116) bis 2. Oktober entgegen. Infos und Bestellzettel befinden sich im Spielplanheft zur Saison 2014/15.

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