Bruderkrieg

10.4.2012, 10:00 Uhr
Bruderkrieg

© Winckler

Es fing an mit dieser ganz normalen Rivalität zwischen Brüdern. Er sei unfroh, hatte seine Mutter oft behauptet, ihm fehle das „Positive“. „Einer Mutter macht man nichts vor“, so sagte sie immer, sie wisse um das fade Herz des Sohnes. Gegen ihre gelegentlichen Anflüge von Verzweiflung halfen Kirche, Cognac und Klaus. Klaus, der andere, der Sonnyboy, dem die Küsse nie zu feucht, die Umarmungen nie zu eng wurden. Klaus, der Heuchler, der Bankrotteur, der immer unselbstständig geblieben war und trotzdem anderen das Geld aus der Tasche ziehen konnte durch seinen Charme.

Arzneimittelvertreter war er geworden nach abgebrochenem Pharmaziestudium. Jahrelang sollte er durch Mittelfranken ziehen auf der Suche nach erfolgreichen Abschlüssen, aber zuletzt hatte er in Abenberg eine Apotheke an Land gezogen. Mit Lisa, dem Apothekertöchterlein. Eine Goldgrube. Und Lisa war auch nicht übel.

Die Brüder hatten sich selten gesehen. Zwei-, dreimal im Jahr fuhr man hinaus nach Abenberg, die Kinder waren begeistert vom Onkel Klaus; Eva, M’s Frau, liebte ihn geradezu. M. trank bei diesen Anlässen maßvoll und gleichmäßig und kommentierte den Dorftratsch mit zynischen Bemerkungen. Das Haus war voll von Antiquitäten, billig erstanden im Tauschhandel. Dorftratsch? Nein, Beziehungen!

M. war nicht neidisch, behauptete er immer, Neid sei ihm fremd, eine der sieben Todsünden des Kleinbürgers. Neid verhindere vor allem Solidarität. Klassenbewusster Neid dagegen sei etwas anderes, aber da könne man nicht von „Neid“ reden, das sei ein tiefer Sinn für Gerechtigkeit, eine Tugend. Jetzt aber stand der Jagdschrank im Arbeitszimmer des Bruders, das Bücherschränkchen, verglast, zierlich, das einzige Stück, das er sich aus Mutters Haushalt am liebsten unter den Nagel gerissen hätte. Schüchterne Versuche, auch von Evas Seite, das Möbel vor der Zeit, vor Mamas Ableben, zu bekommen, waren gescheitert. Und nun stand dieses Ding in Klausens Wohnung!

„Wie kommst du dazu?! Ausgerechnet du!“ M. war sprachlos. Ihm war es versprochen für irgendwann, für den Sankt Nimmerleinstag. Er fühlte sich betrogen.

„Ich habe Mama eine Kur eingeredet“, entgegnete Klaus süffisant, „sie war knapp bei Kasse, und in einem Nebensatz habe ich einfließen lassen, dass mir der Schrank so gut gefalle. Hat sie ihn dir versprochen? Das tut mir leid. Als Entschädigung lade ich euch beim Huberwirt ein.“ Das war der Gipfel.

Funkstille herrschte seither. Die beiden Brüder hatten sich noch nie wirklich vertragen. „Smart und clever ist der, zum Kotzen. Ein Apotheker halt.“ Wie war M. nur auf die Idee gekommen, seinen eigenen Sohn Klaus zu nennen! Den Bruder zum Paten nehmen. Eine sentimentale Anwandlung. Nun hatte er das trojanische Pferd im Haus. Bei einem vierjährigen Tobegeist konnte M. ja noch den Rufnamen weitgehend vermeiden, geradezu erfinderisch wurde er im Auswählen von Kosenamen: mein kleiner Prinz nannte er ihn, Räuber. Wie aber lebt man falsche Gefühle aus? Der kleine Klaus konnte doch wirklich nichts für die Abneigung gegen den großen Klaus. Geistesabwesend also wälzte sich M. mit Prinz Löwenherz auf dem Boden und überlegte dabei, wie er diesen Kreuzritter allmählich an die zweite Hälfte seines Doppelnamens Klaus-Karl gewöhnen könnte.

Nein, es war Eifersucht, schlichte Eifersucht. Die ganze Mischpoke liebte Klaus, diesen Blender, selbst die hausbackene Schwiegermutter geriet ins Schwärmen, wenn sie diesen Kotzbrocken sah. Vielleicht war es gut für ältere Damen, einen Apother nahe am Herzen sitzen zu haben.

Kein Rückhalt mehr. Einen „Kleingeist“ hatte Eva ihn, M., genannt, einen „Kleinbürger“, die größte Beleidigung für jeden, der noch etwas linkes Bewusstsein hatte. „Besitzbürger“ stimmte. Sein Nest war warm gewesen bisher, er brauchte keine Angst zu haben, dass unerwartete Rechnungen ihn aus seinem labilen seelischen Gleichgewicht reißen könnten. Aber jetzt, diese banale Angelegenheit, dieser objektiv gar nicht so wertvolle Jagdschrank, dieses Möbel hatte ihn in ein unerwartetes Fiasko geschleudert.

Aus der Liebe gefallen war er, räudig geworden. Es schien M. plötzlich, als würde ihm ein ganz besonderer Geruch anhaften. Er sah sich mit den Augen der anderen und wurde stolz.

Zeitweise fühlte er sich so souverän, dass er sich nahtlos in den Familienbetrieb einpassen konnte, er beherrschte alle Regeln, fand Spaß an den ritualisierten Frotzeleien, erwies sich dabei als zärtlich, unverkrampft und derart witzig, dass er sogar seinen „ geliebten Bruder“, der sich zu vorsichtigen Sondierungsgesprächen einfand, in den Schatten stellen konnte. Klaus betrachtete ihn manchmal argwöhnisch von der Seite: „Du bist so anders geworden, wie ausgetauscht. Sag mal, direkt gefragt: Hast du ein Verhältnis?.“ „Ausgerechnet du fragst das!“, knurrte M. „Selbst wenn es so wäre, was geht das dich an! Es ist aber nicht so!“

Keine falsche Harmonie mehr. Die Nase habe er schon lange voll gehabt, er habe ihn, den immer lustigen Klaus, gehasst seit Kindesbeinen, aber die Freiheit, dies laut zu sagen, diese Freiheit sei unverschämt befreiend und neu. Und er sei froh darüber. Dies sagte er flüsternd, dem Bruder wie freundschaftlich den Arm um die Schulter legend und ihn wieder von sich stoßend. Er möge doch in der nächsten Zeit möglichst nicht kommen. Seine Gefühle könnten sich aber wieder ändern. So statisch seien sie nicht.

 

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