Cadolzburg: Hort für Senioren

21.4.2017, 16:00 Uhr
Cadolzburg: Hort für Senioren

© F.: hjw

Frau Müller, die jüngste Reform des Pflegegesetzes zum Jahreswechsel verfolgte insbesondere, an Demenz Erkrankten gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Pflegekasse zu ermöglichen und pflegende Angehörige zu entlasten. Dazu zählt auch Ihr Angebot. Warum wird es nicht angenommen?

Irmgard Müller: Das hat mehrere Gründe: Viele wissen nicht, was genau hinter der Tagespflege steckt und wie sie funktioniert, vielmehr wie sie finanziert wird. Und nicht zuletzt tun sich viele Menschen generell sehr schwer, einen Pflegegrad zu beantragen. Sie schämen sich, Hilfe zu brauchen. Doch Scham ist hier fehl am Platz.

 

Wieso?

Müller: Von großem Vorteil ist, dass für den Grad der Einstufung jetzt nicht mehr ausschließlich der zeitliche Pflegeaufwand, sondern die Selbstständigkeit entscheidend ist. Demenzkranke können so sehr schnell einen hohen Pflegegrad erhalten. Ihnen nützt es überhaupt nichts, allein zuhause herumzusitzen.

Inwieweit?

Müller: Heute wissen wir, dass im frühen Stadium der Erkrankung viel bewirkt werden kann, wenn die Menschen Ansprache haben und beschäftigt sind. Sind sie hochgradig dement und körperlich noch fit, brauchen sie rund um die Uhr Beaufsichtigung. Ansonsten kann es auch gefährlich werden. Der Klassiker ist der angestellte Herd, der vergessen wird.

 

Dann wären da die Kosten der Tagespflege . . .

Müller: Nehmen wir einen Menschen, der in Pflegegrad 3 eingestuft ist: Wird er zuhause betreut, hat er Anspruch auf monatlich 1298 Euro für ambulante Pflege. Diesen Satz gewährt die Kasse noch einmal zu hundert Prozent für Tagespflege. Doch das ist noch nicht einmal zu allen ambulanten Diensten durchgedrungen. Sie fürchten, die Kosten dafür würden von ihrem Budget abgezwackt. Ist jemand bereits eingestuft, ist die Beantragung völlig unkompliziert, teils reicht da der Anruf bei der Krankenkasse. Sicher, das Wirrwarr an Erstattungsmöglichkeiten und Leistungen der Pflegekasse ist für Laien schier undurchschaubar. Aber wer zu uns kommt, dem erklären wir das ganz genau.

 

Was erwartet die Menschen bei Ihnen in der Tagespflege?

Müller: Wir verfolgen generell den Grundsatz, dass die Menschen so angenommen werden, wie sie kommen. Einen an Demenz Erkrankten lass’ ich selbst machen und das kann sehr zeitintensiv sein. Manche wollen auch nicht den ganzen Tag bespaßt werden. Wir haben etliche, die sich mittags schlafen legen, das ist kein Problem, wir haben Rückzugsräume.

 

Wie sieht der Tag konkret aus?

Müller: Wir betreuen von 8 bis 16 Uhr und das in klaren Strukturen, die von den Mahlzeiten bestimmt werden. Dazwischen gibt es ein Programm, das wir Woche für Woche im Team vorbereiten. Fixpunkte sind die gemeinsame Zeitungslektüre, Singen und Gymnastik, nachmittags machen wir Spiele oder gehen spazieren. Musik, Kinder und Tiere sind zentrale Themen. Unser Therapiehund ist leider krank geworden, wir suchen gerade einen anderen. Und Musik kann bei Demenz viel bewirken. Selbst Menschen auf der letzten Stufe der Erkrankung sind so noch zu erreichen und summen mit. Das ist beeindruckend.

 

Inwieweit spielen die Kinder aus den Kindertagesstätten eine Rolle?

Müller: Einmal in der Woche kommt eine Gruppe aus dem Kindergarten zu Besuch. Das sind tolle Begegnungen zwischen Jung und Alt, die ein Strahlen auf die Gesichter der Senioren zaubern. Wir profitieren allein schon von unserer Lage direkt dazwischen: Das Bringen und Holen der Kleinen wird vom Panoramafenster unserer großen Wohnküche mit viel Interesse verfolgt. Dieser Raum ist das Herzstück unseres Konzepts. Dank der großzügigen Unterstützung in Höhe von 46 000 Euro von der GlücksSpirale konnten wir sehr hochwertiges Mobiliar anschaffen, da fehlt es nicht an Bequemlichkeit. Hier wird auch jeden Tag gemeinsam gekocht.

 

Der Pflegenotstand ist in aller Munde, berührt er Sie auch?

Müller: Wir hatten Glück, wir konnten qualifiziertes Personal gewinnen und haben sogar einen Betreuungsassistenten, der in Einzeltherapie oder Kleingruppen betreut, wenn jemand in der großen Gruppe überfordert ist.

 

Sie liegen mit mittlerweile 30 Berufsjahren ums Zehnfache über dem bundesdeutschen Schnitt, nach denen Pflegefachkräfte laut Statistik ihren Beruf hinschmeißen.

Müller: Na ja, verständlich: Schichtdienst, das ist familiär schlecht zu steuern, es ist körperlich schwere Arbeit und man steht immer mit einem Fuß im Gefängnis, hat man seine Arbeit womöglich nicht ausreichend dokumentiert. Passiert etwas, wird das in den Medien aufgebauscht. Das Positive, das überall geleistet wird, steht aber nicht in den Zeitungen. Das kann mürbe machen.

 

Sie aber offensichtlich nicht, oder?

Müller: Für mich ist das, was ich hier tue, kein Beruf, sondern Berufung. Gehen unsere Gäste mit einem Lächeln im Gesicht heim, ist das für mich mehr als der Lohn. Wir haben eine Angehörige, die ihren Mann jetzt einen dritten Tag in der Woche bringt, weil sie merkt, dass es ihm gut tut. Er spricht zuhause nicht mehr. Bei uns hat er wieder angefangen zu reden.

Die Senioren-Tagespflege hat am 27. Mai Tag der offen Tür. Von 14 bis 17 Uhr zeigen die Mitarbeiter die Räume und stehen für Gespräche zur Verfügung.

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