Cadolzburgs stolze Rammler mit dem Tattoo im Ohr

25.6.2017, 14:00 Uhr
Cadolzburgs stolze Rammler mit dem Tattoo im Ohr

© Peter Budig

Glänzende Äuglein, eine flinke Nase und ein Fell, so weich wie das Bett im Paradies: Es sind wirklich putzige Viecher, diese Karnickel. Und das Vereinsgelände – ist ein schöner Flecken Erde. Es geht einen Schotterweg entlang, plötzlich steht man mitten im Kaninchenverein. Drei Steinhäuschen und ein schmuckes Vereinsheim, dazwischen gepflegter Rasen, hoch aufgerichtet wuchert eine dichte Trennhecke, in der sich die Wildvögel kreischend um Beeren streiten. Mehrere Sitzgruppen um Holz- oder Campingtische, ein Grill, hinterm Garten eine wilde Wiese mit Hasenmisthaufen und hoch wachsenden Gräsern. Hier kann man sich einrichten – vorausgesetzt, man macht mit im Verein.

Kaninchen werden in den Häuschen in Buchten (Holzkäfigen) gehalten, mit dem Ziel, bei der Zuchtwahl möglichst viele Rassemerkmale besonders klar und ausgeprägt zu erhalten. Wer mag, bekommt für 40 Euro Monatsbeitrag so ein halbes Häuschen zugeteilt, mit einer kleinen Küche und einem großen Zuchtraum. Der Senior der Züchter, Kurt Sieghörtner, ein gelernter Schreiner, hat die meisten der Buchten in Eigenarbeit erstellt. Darum sind sie hier in Cadolzburg einheitlich und sehr professionell.

Deutsche Geselligkeit

In jedem Stall wohnt ein braunes, schwarzes oder geschecktes Rassekaninchen. In manchen leben Mütter mit ihrem Wurf. Martina Sieghörtner, die junge Vorsitzende, ihr Vater Kurt, Jahrgang 1942, mit seiner Frau Gisela und Christine Erban, sind sich gar nicht bewusst, Repräsentanten eines deutschen Mythos zu sein. Kaninchen züchten, Ställe hinterm Haus, das gilt, zusammen mit Brieftaubenzucht, als Keimzelle deutscher Geselligkeit. Manche schimpfen es Spießertum. Doch in Wahrheit kann man hier die Urform funktionierender Gemeinschaft beobachten. Ein gemeinsames Anliegen, Zusammenhalt, sich unterstützen und das Beste rausholen wollen. Gelegentlich ein Wettkampf und ab und zu ein Fest.

Seit 75 Jahren wird diese Kolonie geführt und gehegt, mit einem Ziel: Man führt einen sonst allein lebenden Rammler mit einer Häsin zusammen. Lange muss man dann nicht warten, bis die Dame „eine Hitz’ entwickelt“, erklärt Martina Sieghörtner. Dann geschieht das Sprichwörtliche, wobei „Rammeln wie ein Karnickel“ sich auf Frequenz und Kürze des Aktes beziehen. „Die sind ruckzuck fertig“, bestätigt sie.

Nach gut vier Wochen kommen zwei bis zehn kleine nackte, blinde Babys auf die Welt. Nach zehn Tagen sehen sie, gut drei Wochen werden sie gesäugt und bald darauf wäre Mama wieder so weit. Ob sich aber ausprägen wird, was und wie man es erhofft, schöne hängende Ohren, gleichmäßiges, weiches, glänzendes Fell, falls schwarz gescheckt, dann klar und gleichmäßig – das kann man erst mit der Zeit feststellen.

Und ob gar ein Spitzenrammler oder eine Schönheitskönigin dabei sind, weiß man erst, wenn man es auf einer jener Züchtertreffen, „Schauen“ genannt, von der Jury bestätigt bekommt. Was bei den Eltern perfekt erschien, muss sich beim Jungen nicht durchsetzen. Die Vielfalt der rezessiven Gene, der schlummernden Eigenschaften, die die Würfel des Zufalls lenken, hat schon erfahrene Zuchtexperten verzweifeln lassen. Mendels Gesetze folgen ihrem eigenen Plan.

Zu den ganz erfahrenen Züchtern zählt Kurt Sieghörtner. Seine zweite Frau Gisela hat schnell seine Leidenschaft für dieses Hobby übernommen. Er war Witwer und sie haben erst am 4. Mai geheiratet. Nun besitzt sie ein Zuchthäuschen am Vereinsplatz. 30 bis 60 Tiere leben in den Käfigen allein und doch beieinander. „In der Wildnis“, weiß Sieghörtner, „wo Kaninchen weitverzweigte Gangsysteme bewohnen, leben sie in Verbänden. Aber da können sie sich aus dem Weg gehen.

Im Käfig würde das nicht gutgehen. Jedenfalls nicht bei geschlechtsreifen Tieren. Sieghörtner ist nicht nur Züchter und Experte, sondern auch vereidigter Preisrichter, der auf den Schauen in der Jury sitzt, die die Urteile fällt. Er weiß fast alles, was man über Kaninchen wissen kann. Die Cadolzburger Züchter sind besonders aktiv, vielleicht auch, weil so viele Frauen mitmachen. Christine Erban, die erst kürzlich als Quereinsteigerin dazugekommen ist, hat sich eingesetzt, dass sich wieder eine Handarbeits- und Kreativgruppe bildet.

Diese Bastelgruppen haben bei den Kaninchenzüchtern Tradition. Dahinter steckt auch die Absicht, keine „Abfälle“ zu produzieren. Auch die Felle sollen verwertet werden.
Man kann Eulen oder sogar Hunde daraus basteln, Kuscheltiere, die wegen des flauschig weichen Fells sehr beliebt sind. Überhaupt gehört es zum Ehrenkodex, dass die Tiere bestes Futter erhalten, gepflegt, regelmäßig gesäubert werden – und dass nach ihrem Tod alles verwertet, nichts weggeworfen wird. Der Verzehr, als Braten, Hackfleisch oder Sülze, gehört dazu und hat die Kaninchenzüchter wütenden Angriffen von Vegetariern und Veganern ausgesetzt.

Bei 250 Euro ist Schluss

Das Ziel des Vereinslebens aber ist der Wettbewerb. Auf Bezirks-, Landes-, Bundes- und Europaebene konkurrieren Züchter bei den großen Ausstellungen. Hier werden Tiere zur Prämierung gebracht, 100 Punkte wäre das Optimum, doch bei 97/98 Punkten liegt die Schwelle des Möglichen für die schönsten Zuchterfolge. Gute Zuchtrammler sind begehrt, werden für einige 100 Euro gehandelt. Der Verband hat den Höchstpreis bei 250 Euro gedeckelt, um Auswüchse zu verhindern.

Jedes Tier bekommt eine Tätowierung ins Ohr, um es zu kennzeichnen. Darauf steht die geheimnisvolle Ziffern/Zahlen-Kombi, mit der sich die Vereine unterscheiden lassen: B482 – Bayern und die Kenn-Nummer der Cadolzburger, vergleichbar mit einer Postleitzahl, dazu kommt noch der Monat, eine Ziffer fürs Jahr (zum Beispiel jetzt: 7) und eine laufende Nummer und das Tier ist ein Individuum, unverwechselbar.

Und das sind die Tipps der Profis für die Heimkaninchenhalter: Kaninchen haben einen Stopfdarm, sie brauchen immer etwas zu essen. Wenig Blähendes (Kohl), nicht zu viel Grünzeug (Salat), die Profis füttern viel Naturpellets aus Heu, Getreide, Klee. Hartes Brot lieben die Karnickel. Es ist für sie wie ein Bonbon, „und genauso selten sollte es gegeben werden: Höchstens ein, zweimal die Woche“, empfiehlt Martina Sieghörtner.

 

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