Capella Vocalis: Seit 30 Jahren von 55 Engeln behütet

17.5.2017, 13:00 Uhr
Capella Vocalis: Seit 30 Jahren von 55 Engeln behütet

© Foto: Thomas Scherer

Die Klänge von Mozarts "Ave Verum", diesem "Kleinod der Chormusik", entfalten sich harmonisch im Kirchenraum. Schön. Wer aber einen Abend voller Vertrautem und ohne Überraschungen erwartet hatte, der lag daneben. Seit nunmehr 30 Jahren gibt es Capella Vocalis, und zum Jubiläum präsentierte der Chor ein Programm, das zu seinem Profil passt: geistliche Werke aus sechs Jahrhunderten, von Monteverdi bis zum 1962 geborenen jüdischen Komponisten Sid Rabinovitch, dessen "Prayer before sleep" in hebräischer Sprache den Abend beschloss.

Weniger Bekanntes und zeitgenössische Komponisten liegen Chorleiter Bernhard Joerg am Herzen, gleichzeitig aber zieht sich durch den Abend ein Bewusstsein der Kontinuität, fußt doch die geistliche Vokalmusik auf einer tausendjährigen Tradition, die als gewolltes Zitat, als verborgenes Strukturelement oder als bewusste Abwesenheit auch noch in den neuesten Kompositionen mitschwingt.

So etwa in zwei Werken, die zwei Pole der Musik des 20. Jahrhunderts umreißen: Morten Lauridsens "O magnum mysterium" ist letztlich ein Produkt der Postmoderne, nimmt zwar Anleihen bei der Tonsprache der modernen Popmusik, könnte aber fast in jeder Zeit zuhause sein. Nur vielleicht nicht in der klassischen Moderne, in der Joszef Karais "De Profundis" anzusiedeln ist, ein musikalischer Aufschrei, der die Grenzen des Singbaren austestet, ohne sie zu sprengen. Es wird gesungen, gesprochen, heulende Töne, die plötzlich nach unten abfallen, hysterisches Plappern, all das verbindet sich in dem "Ruf aus der Tiefe".

Dass die geistliche Musik zu keiner Zeit für sich alleine steht, wird im zweiten Teil des Konzerts deutlich, in dem sich Capella Vocalis als Doppelchor präsentiert — zunächst mit einem "Magnificat" von Heinrich Schütz, der die ältere Tradition der Mehrchörigkeit und der Motette aufnahm und für die deutsche Sprache als besondere Form der Verkündigung fruchtbar machte.

Wie sich Schütz rückwirkend bezog auf Claudio Monteverdi, so nutzte Johannes Brahms in der Romantik seinerseits den Doppelchor als Strukturelement. Und so verbinden sich in seinen "Fest- und Gedenksprüchen" die überbordende Emotion der Romantik und die strenge Form der alten Musik.

Neue Tonsprache und uralten Text hat Wolfram Buchenberg in "Von 55 Engeln behütet" verbunden. Die Worte sind ein Reisesegen aus der Zeit um 1400, gesungen in mittelalterlichem Fränkisch. Die letzten, tiefen Männerstimmen gehen am Ende dieses Werks beinahe im Geräusch des draußen tobenden Unwetters unter. Der Applaus jedoch ist dann wieder definitiv lauter als der Regen.

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