Charme der Endlichkeit

29.10.2018, 12:30 Uhr
 Charme der Endlichkeit

© Foto: Giulia Iannicelli

Und gleich noch ein Trio: Nachdem am Donnerstag bei David Helbocks Random/Control so ziemlich alles, was das Holz- und Blechblasinventar aufzufahren vermag, das Klavier unterstützte, kam am Freitag mit Triosence aus Kassel die klassische Besetzung zum Zuge: Piano, Kontrabass, Schlagzeug.

"Kummer, Schmerz und Leid liefern die Inspiration für die besten Stücke", stellt Pianist Bernhard Schüler nüchtern fest. Zu hören gibt’s dann allerdings denkbar flotten Jazz. Ein paar Akkorde der heftigeren Art treten gelegentlich schon auf, doch das ist noch kein Grund für Selbstmitleid. Dann wird es eben Zeit, neue Pfade zu beschreiten. In diesem Sinne ist Schüler ein unverbesserlicher Optimist.

Unaufdringlich virtuos

Begonnen hatte er seine Jazzkarriere in jungen Jahren, als er seine Eltern ein Jahr lang mit dem Versuch terrorisierte, Keith Jarretts "Köln Concert" auf dem heimischen Flügel nachzuspielen. Zur überschwänglichen Neoromantik hat er aber mittlerweile genügend Abstand gewonnen. Pathos ist wohl das Letzte, was man seiner Band Triosence vorwerfen kann. Dazu ist sie viel zu treibend und dynamisch. Und sehr komplex. Allerdings nicht von der Komplexität, die nur noch Quintenzirkelmathematiker und Takterbsenzähler zu schätzen wissen, sondern von einer unaufdringlichen, höchst spielerischen Virtuosität, die all den Schweiß, der beim Erarbeiten der Stücke vergossen worden ist, vergessen macht.

Stephan Emig leistet schier Übermenschliches am Schlagzeug. Pausenlos bearbeitet er Trommeln, Zimbeln und weitere Klangerzeuger in höchst differenzierter Perkussion, ohne sich je in den Vordergrund zu drängen (dafür ist dann das Drumsolo da). Neuzugang Omar Rodriguez Calvo am Kontrabass bringt aus Kuba den gewissen karibischen Einschlag mit, der sein Instrument geradezu singen lässt.

"Hidden Beauty" nennt sich das neue Album, das Triosence an diesem Abend im Kufo vorstellt. Eine Schönheit auf den zweiten Blick? Eher eine Schönheit, die nicht auf den ersten Blick blendet, wohl aber mit jedem Stück das Publikum mehr zu fesseln weiß. Ein Konzert, in dem die Musik ausufernde Geschichten erzählt, die den Zuhörer an den Strand von Rio entführt — und von der er sich gern verführen lässt.

PDie Klangfülle der Cuban Jazz Unit ist frappierend. Zwar stehen sieben Musiker auf der Bühne, aber so eine Dichte und Volltönigkeit erreichen trotzdem nicht alle Combos dieser Größe. Alberto Diaz erzeugt auf seinem Piano schon mal ein ganzes Orchester. Mastermind Kim Barth (Saxofon, Flöte), der die Band zusammenbrachte, um den 80. Geburtstag des großen McCoy Tyner gebührend zu feiern, sorgt für einen harmonisch reichen, mit donnernden Clustern aufgeladenen und sehr perkussiven Stil, der des einflussreichen Jazzpianisten und Komponisten würdig ist.

Überall blitzt der afrikanische Rhythmus durch, auch in den lyrischen Stücken des Abends heißt es: Attacke. Nicht nur Tastenlöwe Diaz agiert quicklebendig, auch Julio Barretto am Schlagzeug spielt zupackend. Saxofonist Barth lässt die Skalen tanzen, Trompeter Greg Rivkin zerschneidet die Luft im Saal wie eine Machete das Zuckerrohr, Posaunist Denis Cuní testet aus, welche Tonsprünge und Geräusche möglich sind. Eduardo "Dudu" Penz am Bass flirtet mit den anderen Instrumenten und den Zuhörern zugleich. Die filigranen, schnell gespielten Soli erinnern mehr an das nervöse New York als an das vergleichsweise gemächliche kubanische Leben.

Großes Zukunftsversprechen

Die Cuban Jazz Unit bringt lässig den Mut auf, die gängigen Riffs und Arrangements zu verlassen und an die eigenen Roots anders heranzugehen. Wenn der Jazz einst kubanische Rhythmen vereinnahmte, so experimentiert diese Truppe nun mit kubanischen Arrangementweisen im Jazz und versetzt sie mit Tango-Sprengseln oder Breakbeats. Die Band spielt mitten im Zentrum des Gegenwartsjazz und ist mit ihrem Sound, in dem sich verschiedene Bewusstseinsschichten aneinander reiben und Funken schlagen, ein großes Versprechen auf die Zukunft des Genres. Sie erzählen vom Havanna der fünfziger Jahre, von Chicago, dem Harlem von heute und dem Santiago von morgen.

Für das Publikum im ausverkauften Kulturforum ist dieser hochkomplexe Jazz ohne Salsa-Flair und Buena-Vista-Gesang trotzdem tanzbar. Die Fürther wippen mit, am Ende gar ist Ganzkörperzappeln angesagt. Nicht nur die deutsch-kubanischen Gäste verlangen enthusiastisch nach mehr.

PLeise verschwindet die Welt, während Susanna Sawoff singt. Manchmal fühlt man sich, als wäre man gerade aufgewacht, noch nicht ganz da und hörte noch eine Melodie aus einem Traum. Diese Zaubertöne begleitet sie auf dem Klavier, während Raphael Meinhart mit Marimbafon, Vibrafon, Synthesizer, Perkussion und Glockenspiel ein Paralleluniversum erschafft. Aber so muss das auch sein, wenn zwei sich Exit Universe nennen. Bei den Jazzvariationen stellen sie ihr Debütalbum "Because the world is round" vor.

Tief und innig trifft es nicht ganz, denn dieser Sound berührt Existenzielles, geht weiter als gängige Lieder über die Liebe und das Leben. Kein Wunder, dass die beiden Österreicher die Rede immer wieder auf den Tod bringen. Es würde nicht verwundern, wenn sie plötzlich von Wiedergeburt, früheren Leben und den Erkenntnissen daraus beginnen würden. Tun sie aber nicht. Woran auch immer sie glauben, sie behalten es für sich.

Das macht die Reduktion ihrer Musik aus, ihre Art, alles Unwesentliche konsequent wegzulassen. Hier geht es um die Schöpfung als solche, wer auch immer sie hervorgebracht hat, was auch immer vor dem Urknall gewesen sein mag.

Klar ist das lyrisch und poetisch, aber andererseits manchmal auch sezierend, so wie wenn ein Forscher eine Pflanze aufschneidet und zerkleinert, um ihre Zellen zu untersuchen. Jedes Detail wird gedreht und gewendet, um es ganz genau zu sehen.

Da kann ein Beat auch mal schneller werden, um das Tempo zu illustrieren, in dem Planeten kreisen. Oder Sawoffs Stimme zeigt, dass Glas als Stoff nicht nur sehr zerbrechlich ist, sondern auch hart sein und tausend Grad Hitze überstehen kann, während Meinhart mit seinen Instrumenten die unterschiedlichen Temperaturen dazu erzeugt.

Beste Freunde

Weil aber letztlich alles genau so ist, wie es sein soll, hört es bei diesem Duo zum Schluss auch gut auf. Man kann prima und befreit einschlafen. Es wäre kitschig, das darauf zurückzuführen, dass die zwei früher mal ein Paar waren und heute beste musikalische Freunde sind. Diese Kompositionen beinhalten mehr als Küchenpsychologie. Die Endlichkeit hat ihren eigenen Charme. Dies in Form von Indie, Jazz, Electro, Pop und vielen Experimenten hörbar zu machen, ist eine große Kunst.

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