„Das Einfache spüren“

2.6.2012, 10:30 Uhr
„Das Einfache spüren“

© Joachim Sobcyk

Diese Mail an die Redaktion enthält eine lange Liste. Sie beginnt mit „Haaretrocknen ohne Fön“ und endet mit „Fernseher läuft selten“. Insgesamt 28 Alternativen, Regeln, Empfehlungen hat Heidi Deffner aufgeschrieben. Es ist ihr persönlicher Leitfaden für ein Leben mit möglichst wenig Strom.

Die 47-Jährige ist Grundschullehrerin in Großhabersdorf. Mit ihrer Tochter Anita (11) bewohnt sie eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Roßtal. Das Haus steht am Hang, vor den Fenstern strecken Farne ihre fingrigen Blätter aus, weiter unten mäandert irgendwo der Mühlbach. Heidi Deffner ist eine jugendlich wirkende Frau mit Lachgrübchen. Falls sie etwas entbehrt, sieht man ihr das nicht an. Auf dem Terrassentisch steht Wasser, einfach nur Wasser. Sich zu reduzieren auf das Wesentliche, sagt die Gastgeberin, sei für sie keine Einschränkung. „Ich möchte in meinem Leben das Einfache spüren.“

Wie so viele Grüne hatte die heutige Kreissprecherin der Umweltpartei ihr Erweckungserlebnis, nachdem 1986 der Atomreaktor in Tschernobyl explodiert war. Ihre ältere Tochter Irina war damals sechs Monate alt, ein Kind, das trotz des Fallouts, des radioaktiven Regens auch hierzulande, im Gras krabbeln wollte. „Und dann musst du 15 Jahre warten, ob sie Schilddrüsenkrebs bekommt.“

Politisches Anliegen

Aus diesem Ohnmachtsgefühl heraus begann Heidi Deffner Konsequenzen zu ziehen. Sie erklärte den Schutz der Umwelt zu ihrem politischen Anliegen, trat „sofort“ den Grünen bei. Im Privaten begann sie, Handgriffe und Haushaltsgeräte zu hinterfragen. Die Folge: Heute ist für sie vieles längst nicht mehr selbstverständlich.

Der Staubsauger zum Beispiel. Deffner überlegt sich, wann sie ihn aus der Ecke holt. Krümel schafft sie öfter mit einem Schaumstoffschieber vom Boden oder mit dem „tollen“ mechanischen Teppichkehrer, den ein Umweltversandhandel für 30 Euro anbietet.

Oft wählt Heidi Deffner bewusst den unbequemeren Weg. Etwa, wenn sie morgens eine halbe Stunde früher aufsteht, damit ihr Haar nach dem Waschen — ohne Fön — lufttrocknen kann. Wenn sie für die zehn Kilometer zum Arbeitsplatz das Fahrrad, nicht das Auto nimmt. Oder wenn sie Aufbackbrötchen im Supermarkt links liegen lässt, „weil man sich die sonntags mit dem Rad frisch vom Bäcker holen kann“. Für Wochen im Voraus einzukaufen, das ist sowieso nicht ihr Ding. „Eine Tiefkühltruhe hatte ich nie.“ Einen Kühlschrank allerdings hat sie schon, wenn auch einen kleinen.

Anita Deffner schleppt eine Schneiderpuppe auf die Terrasse. Die trägt ein schmales, farbenfrohes Sommerkleid. Die Elfjährige näht es selbst und muss jetzt die Säume umbügeln. Nur deshalb stehen Bügeleisen und Bügelbrett mitten in der Wohnung, die sonst selten zum Einsatz kommen. Denn Kleider und Blusen hängt Heidi Deffner nach dem Waschen feucht auf Bügel und nach dem Trocknen direkt in den Schrank.

„Mir war nicht immer klar, ob man so arg Strom sparen muss“, gesteht die Tochter. Doch spätestens nach Fukushima und der Klassenlektüre von Gudrun Pausewangs Kernkraftgegner-Kultbuch ,Die Wolke‘ ist sie „immer öfter stolz, dass wir so konsequent sind“. Zuletzt hatten Mutter und Tochter einen Stromverbrauch von knapp 1100 Kilowattstunden im Jahr. Die Tausender-Grenze möchten sie noch knacken.

Tina Kienzl, Umweltexpertin der Verbraucherzentrale Bayern, meint dazu:

Ein Stromverbrauch von 1100 Kilowattstunden im Jahr ist sehr gering. Man sieht daran, dass sich die vielfältigen Maßnahmen der Familie Strom zu sparen, deutlich aufsummieren. Ab 2200 Kilowattstunden pro Jahr im Zwei-Personen-Haushalt, in einer Mietwohnung und ohne elektrische Warmwasserbereitung, ist der Verbrauch eher hoch und birgt Einsparpotenzial.

Ein Leben ohne Tiefkühltruhe ist unter dem Gesichtspunkt des Stromsparens dann empfehlenswert, wenn wenig auf Vorrat gekauft oder gekocht wird. Der Stromverbrauch einer Tiefkühltruhe hängt stark vom Nutzvolumen ab, je mehr Liter, desto mehr Strom braucht sie. Eine energieeffiziente Truhe (A+++) mit 200 Liter Nutzinhalt braucht z. B. 117 kWh/Jahr. Wer nicht ganz verzichten möchte, sollte auf energieeffiziente Geräte achten. Tipp: Gefriertruhen sind meist sparsamer als Gefrierschränke.

Eine eher kleine Ersparnis bringt der Teppichkehrer. Er ist kein wirklicher Ersatz für den Staubsauger, kann aber durchaus für die schnelle „stromfreie“ Reinigung zwischendurch sinnvoll sein.

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