Das Quelle-Debakel wirft dauerhafte Schatten

30.5.2014, 06:00 Uhr
Das Quelle-Debakel wirft dauerhafte Schatten

© Rödel

Bis heute können die Müllers nicht fassen, wie sich ihr Leben gewendet hat. Dass sie innerhalb weniger Jahre von der Doppelverdienerfamilie mit festem Job zu „Aufstockern“ mit Existenzangst abgerutscht sind. „Wir müssen jeden Monat kämpfen, dass wir rumkommen“, sagt Frau Müller. Das belastet auch seelisch.

Zumal sich die Müllers – ihren Namen haben wir aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert – nie auf ein gleichbleibendes Einkommen verlassen dürfen. Ralf Müller verdient bei einer Zeitarbeitsfirma Stundenlohn, doch die Zahl der Stunden schwankt. Das Jobcenter stockt jeweils bis zum Hartz IV-Satz auf. Fehlt ein Nachweis, werden Anträge nicht rechtzeitig gestellt – dann kann es dauern, bis die Zahlung erfolgt. Ein Arbeitseinkommen nur knapp über dem Mindestlohn, der Papierkrieg mit den Behörden – für Familie Müller wäre womöglich vieles einfacher, würde sie sich fallenlassen. „Man fragt sich, warum man überhaupt noch arbeiten geht“, sagt Ralf Müller, „aber es ist ein anderes Gefühl, wenn man Arbeit hat.“

Das hatten die Müllers viele gute Jahre. „Bei der Quelle, das war krisensicher – und wir haben, verglichen mit heute, gut verdient“, erzählt der Mann. Als Lagerarbeiter beim „Madeleine“-Versand an der Fürther Straße brachte er 1400 Euro netto nach Hause, seine Frau 1300. Dann kam Ende 2008 die Insolvenz. Annette Müller wurde in der Elternzeit gekündigt, das Jüngste der drei Kinder war damals noch nicht zwei Jahre alt. Ihr Mann wechselte – nach 18 Jahren im Job – in eine Auffanggesellschaft. Das Microsoft-Zertifikat, das der gelernte Zerspanungsfacharbeiter dort ablegte, half ihm nicht weiter. Er wurde arbeitslos. „Finanziell ging es uns damals noch gut, wir hatten die Abfindung.“

Nicht der erste Nackenschlag, den der gebürtige Thüringer verkraften musste. Zu DDR-Zeiten hatte der Facharbeiter in der Abendschule das Abitur nachgeholt, dann in Dresden „Ökonomie des Sozialismus“ studiert, bis die Wende seine Pläne zunichte machte. Ralf Müller ging in den Westen und fand Arbeit bei der Quelle.

Die Abfindung hatte die Familie aufgebraucht, als Ralf Müller 2010 bei einer Zeitarbeitsfirma unterkam. Die ließ ihn im Lager und bei einer Spedition arbeiten, vermittelte Jobs in der Galvanisierung, als Möbelpacker und in der Spielwaren-Produktion. Das Geld war knapp, aber die Müllers kamen über die Runden.

Als Anfang 2012 sein Vater starb, fiel Ralf Müller in ein Loch. Ein Arzt schrieb ihn krank, doch bereits in der zweiten Woche flatterte die Kündigung ins Haus. Dabei hatte der Mann kurz vor der Übernahme in den Betrieb gestanden. Wieder arbeitslos. Als die Autoversicherung und -steuer fällig wurden, die Stromnachzahlung kam, blieb die erste Miete schuldig. „Ich habe den Kopf in den Sand gesteckt“, sagt Ralf Müller. Briefe des Vermieters, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft WBG, machte er gar nicht mehr auf. Er legte sie ungeöffnet weg.

Keine Weihnachtsgeschenke

Erst die „Androhung der Räumung“ fiel seiner Frau in die Hände. „Jetzt mach’ was!“, schimpfte die energische Blonde, „sonst hocken wir mit den Kindern unter der Bücke.“ Die 4-Zimmer-Wohnung in der Heilstättensiedlung ist geräumig, mit 750 Euro warm für 100 Quadratmeter sogar günstig. Dennoch waren, inklusive Anwaltskosten, 8000 Euro aufgelaufen. Was tun? Über das Projekt „Nachhaltiges Wohnen“, mit dem fünf Fürther Wohnungsbaugesellschaften Mieter in finanziellen Schwierigkeiten vor dem Wohnungsverlust schützen wollen, kam die Familie zu Sozialarbeiterin Sandra Zintl. Sie akquirierte eine Spende und half den Müllers dabei, ein Darlehen des Jobcenters zu bekommen und ein Pfändungsschutzkonto zu eröffnen. Mit der WBG vereinbarten die Müllers Ratenzahlung, 1000 Euro müssen sie aktuell noch tilgen.

Was übrig ist, reicht vorn und hinten nicht. „Zu Weihnachten haben wir unseren Kindern nichts kaufen können“, sagen die Eltern nüchtern. Ohne Großeltern und Tanten hätte es gar keine Geschenke gegeben. Um mit dem Wenigen besser umgehen zu können, soll Familie Müller ein Haushaltsbuch führen. Aber wo sparen? Das Auto ist längst verkauft, die MobiCard, die Ralf Müller seit vergangenem Oktober zu seinem neuen Job als Staplerfahrer bringt, kostet 50 Euro im Monat, Lebensmittel kauft Annette Müller beim Discounter. Der Fernseher ist ein altes Röhrenmodell, gebraucht 25 Euro, und der Staubsauger von Nachbarn geliehen. Wo also noch sparen? „Wir rauchen“, gestehen die Eltern kleinlaut. Auch Hund und Katze gehören zum Haushalt. Aber die Tiere weggeben?

Natürlich könnte auch Annette Müller arbeiten, die Kinder sind jetzt 11, 9 und 7 Jahre alt. Im vergangenen Jahr hat die 48-Jährige, die am Gänsberg geboren und Fürtherin aus ganzem Herzen ist, mehrere Anläufe unternommen. Als Küchenhelferin im Nordostpark („Da hat es mir gut gefallen“) wurde sie nur kurz gebraucht, in einer Behördenkantine ließ man sie völlig allein und nach der Probearbeit im Hotel war ein Arbeitsvertrag versprochen – und wurde zurückgezogen. Und ob ein Arbeitgeber eine dreifache Mutter toleriert? Das bezweifelt Frau Müller stark.

Dass sie – einfache Menschen, die doch nichts falsch gemacht haben – einmal so ohne Zukunft leben würden, können die Müllers nicht begreifen. Nur, weil die Quelle pleite machte. „Wir waren schuldenfrei, wir haben alles bar bezahlt.“ Damals.

12 Kommentare