Der älteste Roßtaler

16.11.2014, 13:00 Uhr
Der älteste Roßtaler

© Foto: Thomas Scherer

Gute zwei Meter geht es über die Aluminiumleiter hinunter in den schmalen Graben. Dort schälen sich Knochen aus dem verdichteten Erdreich. Brustkorb und Rippenbögen sind zu sehen, der Schädel steckt noch verborgen im Boden, Unterkörper und auch der linke Arm fehlen.

Viel verrät der Roßtaler oder die Roßtalerin derzeit nicht über sich. Da das Skelett auf Höhe der romanischen Kirchenfundamente ruht, wurde der Leichnam wohl um das Jahr 1000 herum beerdigt. „Er könnte“, sagt Liebert, „aber auch älter sein.“ Denn: Die helle Bodenschicht, in der die sterblichen Überreste gefunden wurden, zieht sich weiter zu den Fundamenten mit Putz- und Farbresten, die noch älter sind. Genauen Aufschluss darüber soll eine Untersuchung mit der Radiokarbonmethode am Physikalischen Institut der Universität Erlangen-Nürnberg geben. Dazu wird ein Knochen entnommen und die Menge der enthaltenen radioaktiven C14-Atome bestimmt. Anhand dieses Ergebnisses lässt sich das Alter des Fundes datieren. Die offengelegten Skelettteile werden geborgen und anschließend im Depot der archäologischen Staatssammlung in Baldham aufbewahrt.

Christ dürfte der oder die Tote gewesen sein, da das Skelett in West-Ost-Richtung liegt. Klein war der Mensch zudem, eventuell ein Kind? Archäologe Liebert hält sich da bedeckt. Ein Angehöriger der Oberschicht, die hier auf dem Felssporn in der frühmittelalterlichen Burganlage lebte, könnte es gewesen sein, mutmaßt der Fachmann. Sicher ist: Während der linke Oberarm bereits bei Bauarbeiten im Mittelalter gekappt wurde, gingen die unteren Extremitäten beim Bau der nun aufgelassenen Familiengruft in den 1960er Jahren verloren.

Skelettstücke liegen auch sorgsam aufgereiht auf einem Mauersims neben dem Südportal. Mit solchen Stücken, sogenannten „verlorenen Knochen“, sind Friedhofsböden regelrecht durchsetzt, weiß Liebert, so auch in Roßtal. Bereits im achten Jahrhundert muss hier innerhalb der Burganlage eine Kirche gestanden haben, sagt er, ob aus Holz oder doch bereits aus Stein, darüber gibt es keine Erkenntnisse. In massiver Bauweise wurde das Gotteshaus in zwei Abschnitten in der Romanik errichtet.

Die Krypta ist älter

Die „romanische Schwelle“ des Südportals, auf das später in der Gotik der Eingang mit dem für die Epoche charakteristischen Spitzbogen gesetzt wurde, kann der Besucher in Augenschein nehmen. Älter ist das bereits erwähnte Fundamentsegment im Bereich der Krypta. Eine entdeckte Mauerwange lässt den Schluss zu, dass hier Treppen hinunterführten und der Raum einst über einen eigenen, später wieder verschlossenen Durchgang betreten werden konnte. Zwei Dinge stehen für Thomas Liebert fest: Das Alter der „Unterkirche“ muss in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts datiert werden – und „die Krypta war eine Krypta“ und nicht wie oft gemutmaßt eine Kirche. Die Erklärung dafür liefert Pfarrer Jörn Künne: „In eine Krypta ging man hinunter, in eine Kirche aber hinauf, denn sie symbolisierte das Himmelreich.“

In ihrem heutigen Erscheinungsbild entstand St. Laurentius nach dem großen Brand 1627, den ein Blitzschlag ausgelöst hatte. Die mächtigen Pfeiler an Nord- und Südseite entstanden in der Epoche des Barock, also zwischen 1600 und 1770. Das Bauwerk nachhaltig stabilisieren können sie indes auch nicht, denn es fehlt eine massive Gründung. Eine Tatsache, die Thomas Liebert nicht überrascht, schließlich hätten „die Barockaner nur auf Schau gearbeitet“.

Risse in der Südfassade zeigen, dass der Boden in Bewegung ist und die Fundamente wegzurutschen drohen. Wenigstens drückt das Dach die Wände nicht mehr nach außen, dafür sorgt eine Eisenkonstruktion, die das Ganze seit 1986 zusammenhält. In den Fels gespritzter Beton sowie in den Boden eingelassene Blöcke des gleichen Werkstoffes sollen den Untergrund festigen. Vor drei Jahren hat die Kirche mit den Planungen für die umfangreichen Sanierungsarbeiten begonnen. Der Turm erstrahlt inzwischen in neuem Glanz, im jetzigen zweiten Bauabschnitt stehen die Sicherungsarbeiten für die Gebäudehülle an, bevor man sich anschließend dem Innenraum widmen will.

Und obwohl die Grabungen neue Erkenntnisse geliefert haben, tun sich noch viele Fragen auf. Eine der spannendsten formuliert Jörn Künne so: „Wie kommt eine so große Kirche in ein so kleines Dorf?“ Von den Ortsadligen hätte keiner ein solches Projekt stemmen können, sagt der Pfarrer. Der Auftraggeber muss entsprechend finanzkräftig gewesen sein, der eventuelle Beweggrund: „Da hatte wohl jemand ein schlechtes Gewissen und wollte Gutes tun.“

Aufmerksam begleitet werden die Arbeiten in Roßtal auch vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, für die Thomas Liebert alles sorgfältig dokumentiert. Dafür, dass der aufgegrabene Bereich nicht so groß sei, habe er eine Fülle an Erkenntnissen zutage gebracht, sagt Robert Frank. Der stellvertretende Leiter der Nürnberger Dienststelle schaut regelmäßig in Roßtal vorbei. Pfarrer Künne betont die gute Zusammenarbeit mit den Denkmalpflegern. Auch er ist von den Entdeckungen angetan, hofft aber dennoch auf eine schnelle Fortsetzung der seit Mitte Oktober laufenden Sanierungsarbeiten. Zeit ist schließlich Geld, bis Weihnachten sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Dann haben auch die nicht geborgenen Überreste des ältesten Roßtalers wieder ihren Frieden.

Keine Kommentare