Der Liebestrank

26.2.2013, 08:23 Uhr
Der Liebestrank

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im Autorenteam der „Fürther Freiheit“, Die Germanistin und Historikerin arbeitet im Projektbüro für Schule und Bildung der Stadt Fürth und im Limoges- und Limousinhaus.

Als es an der Tür klingelte, warf Verena einen letzten Blick auf den Mondkalender. Heute oder nie, dachte sie sich. Heute standen alle Zeichen günstig für die Liebe. Und der Mondkalender hatte eigentlich immer Recht.

Beschwingt öffnete sie die Tür und da stand er vor ihr. Thomas. Ihr wurden die Knie weich. Sie hatte alles geplant. Heute würde sie ihn zurückgewinnen.

Vor einem Monat hatte er ihr gesagt, dass er ausziehen würde. Er habe genug von ihr und ihren Sternen, Planeten und Hexereien. Und er hatte es tatsächlich auch getan. Sie war am Boden zerstört gewesen. Sie hatte überhaupt nicht verstanden, warum er gegangen war. Astrologisch gesehen, hatte überhaupt nichts dafür gesprochen, dass eine Trennung ins Haus stand. Im Gegenteil. Aber sie hatte sich gesagt, dass eine Widder-Frau wie sie niemals aufgeben würde. Er würde schon zu ihr zurückkommen.

Er musste noch einige Sachen abholen, dafür hatten sie den Termin für heute Abend ausgemacht.

Verena war vorbereitet. Sie hatte sich im Internet erkundigt, welchen Trank man bereiten musste, damit man seinen Liebsten zurückgewinnen konnte. Lyasania hatte ihr ein Rezept für einen Liebestrank verraten. Sie sollte echten Kakao mit Zimt und Vanille in warmem Wasser auflösen. Danach sollte sie Milch erhitzen und die Mischung hineinfließen lassen. Wenn sie den Trank servierte, sollte sie einen Beschwörungsspruch vor sich her sagen. Lyasanias Ratschläge hatten beinah immer gestimmt. Sie konnte sich auf ihre Hexenfreundin verlassen. Verena war in den Feinkostladen gegangen und hatte den teuersten Kakao gekauft, den sie finden konnte. Zimt und Vanille hatte sie zu Hause gehabt.

Jetzt war er endlich da und sah sie mit seinen wasserblauen Augen an. Augen, in die sie sich vom ersten Augenblick verliebt hatte. Oft wirkten blaue Augen kalt, aber Thomas hatte sie immer mit großer Wärme angesehen.

Sie trat einen Schritt zur Seite und ließ Thomas herein. Sie gingen ins Wohnzimmer. „Ich hole nur meine Stereoanlage ab, dann bin ich wieder verschwunden“, sagte er und blickte sich im Zimmer um. Sie folgte seinem Blick. „Hast du immer noch diesen ganzen Plunder?“, fragte er und schüttelte dabei den Kopf. Im Regal befand sich ihre Edelsteinsammlung. Daneben lagen ihre Pendel und ihre Tarot-Karten.

„Willst du dich nicht setzen?“, sagte sie, das Thema wechselnd. Sie wollte sich auf keinen Fall auf einen Streit einlassen. „Ich habe mir gerade einen Kakao gemacht. Magst du auch eine Tasse?“ — „Nein, mir ist schon schlecht, danke. Hier ist eine Luft, das hält man ja kaum aus. Wie viele Räucherstäbchen hast du denn heute schon abgebrannt?“ Verena musste kurz nachdenken. Eines hatte sie heute Morgen angezündet, eines heute Nachmittag und dann erst wieder eines heute Abend.

Sie liebte diesen schweren Duft der Räucherstäbchen. Auf diesem Duft konnte sie auf Reisen gehen. Weg aus dieser Wohnung. Wenn sie die Stäbchen anmachte, konnte sie fliehen, dann war sie nicht mehr Verena, die Verkäuferin, die sich von den Kunden dumm anreden lassen musste. Der Duft nahm sie mit auf eine Reise in den Orient, wo sie wie eine Prinzessin in einem Schloss wohnte und wo immer jemand bei ihr war, der sie vergötterte. Dort konnte niemand sie verlassen.

„Hey, jemand zu Hause?“ Thomas’ Stimme holte sie wieder zurück in die Wirklichkeit. „Wo ist meine Stereoanlage?“ Tränen traten ihr in die Augen. Sie ließ ihn einfach stehen und ging in die Küche. Der Abend verlief überhaupt nicht so wie er sollte. Sie goss sich Kakao in eine Tasse, da kam Thomas auch in die Küche. „Also, dann gib mir schon eine Tasse, wenn dir so viel daran liegt“, sagte er genervt. Ihr Herz hüpfte. Sie goss ihm eine Tasse voll und reichte sie ihm. „Thomas, verliebe dich wieder in mich, Thomas, verliebe dich wieder in mich“, murmelte sie in Gedanken vor sich hin.

Sie stießen mit ihren Tassen an und tranken. Sie murmelte in Gedanken weiter ihre Beschwörungsformel. Er sah sie an und lächelte. Nein, er lächelte nicht, er verzog den Mund. „Thomas? Hat es dir nicht geschmeckt?“ Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, er schnappte nach Luft. Seine Hand fuhr an seinen Hals. Oh Gott, er bekam keine Luft. Er läuft blau an, dachte sie.

Dann rennt sie schon zum Telefon und ruft den Notarzt. Sie hatte gerade aufgelegt, als sie in der Küche einen Schlag hört. Thomas liegt vor ihr auf dem Boden und röchelt. Mit Mühe bringt er das Wort „Zimt“ hervor. Sie nickt und schlägt sich die Hand vor den Mund. Wie hatte sie das vergessen können.



 

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