Der Mann, der den Mittagsmörder verhaftete

19.2.2015, 21:00 Uhr
Tatort Nürnberg: In einem Geschäft am Weißen Turm erschoss der Mittagsmörder sein letztes Opfer.

© Ulrich Tatort Nürnberg: In einem Geschäft am Weißen Turm erschoss der Mittagsmörder sein letztes Opfer.

Als er im Juni 1965 in Nürnberg den Mittagsmörder festnimmt, ohne dies zu ahnen, ist Richard Kurzenberger 25 Jahre alt. Zwei Verkehrspolizisten und zwei Passanten halten in der Breiten Gasse einen jungen Mann fest. Er hat im Freien wild um sich geschossen und zuvor in einem Kaufhaus am Weißen Turm einen Hausmeister mit zwei Kugeln ins Herz niedergestreckt. Schutzpolizist Kurzenberger kommt als erster hinzu – und legt dem Täter Handschellen an.

„Das war ein ganz hagerer, unscheinbarer Studententyp mit Anzug“, erinnert sich Kurzenberger 50 Jahre später. Die Beamten fanden bei ihm mehrere Schusswaffen, in seiner braunen Aktentasche außerdem Munition, einen Totschläger und würfelförmige Kanonenschläge. Der Mann war hochgefährlich, das stand fest, doch dass es sich bei ihm um den Mittagsmörder handelte, sollte sich erst später herausstellen.

Kurzenberger, der ab 1978 bei der Fürther Kripo arbeitete und diese auch mehrere Jahre leitete, verbrachte an diesem Tag noch mehr Zeit mit dem fünffachen Mörder. Weil sich der Mann bei der Festnahme verletzt hatte, musste er ihn – immer noch aneinander gebunden – ins Krankenhaus begleiten. Auch als er geröntgt wurde: Kurzenberger blieb an seiner Seite. „Man hat mir eben auch eine Bleidecke übergelegt“, sagt er. Erst nach der Blutentnahme konnte er den Täter an die Kripo übergeben.

Richard Kurzenberger als junger Mann — als die Handschellen zuschnappten, ahnte er noch nicht, wer ihm da ins Netz gegangen war.

Richard Kurzenberger als junger Mann — als die Handschellen zuschnappten, ahnte er noch nicht, wer ihm da ins Netz gegangen war. © privat

Dass er nun nach 50 Jahren Haft entlassen wird, ruft Erinnerungen wach – mehr aber auch nicht. Richard Kurzenberger verbindet nichts mit diesem Mann. „Wissen Sie, ich habe später noch mit so vielen Mördern zu tun gehabt“, sagt er. Der Mittagsmörder war am Ende nur einer von vielen.

Petra Nacke und Elmar Tannert waren zur damaligen Zeit Kleinkinder – trotzdem haben sie auf ihre Weise einen Bezug zu dem Mann, der in den 60er Jahren die Region in Atem gehalten hat. Im Mai 2012 veröffentlichte das Autorenduo, das auch regelmäßig für die FN-Reihe „Fürther Freiheit“ schreibt, den Roman „Der Mittagsmörder“ – nach zwei Jahren intensiver Recherche. Nacke und Tannert erzählen aus der Sicht eines Journalisten, der sich an die Mordserie und den Prozess erinnert.

Das Duo hat den Täter nie aufgesucht, das sei für das Buch auch nicht nötig gewesen, so Nacke. „Aber wir hatten Kontakt zu ihm über seinen Seelsorger.“ Am Ende schickten sie ihm den Roman in die Haftanstalt. Was er darüber denkt, wissen sie nicht.

Würde sie die Titelfigur ihres Buchs treffen wollen? Wenn der Mann das Bedürfnis habe, würde sie sich nicht versperren, sagt Nacke, für die es schwer vorstellbar ist, dass er sich heute wird zurechtfinden können. So viel hat sich in fünf Jahrzehnten entwickelt. Handys, Computer, Internet. . . Trotzdem: „Er ist jetzt über 70, hat 50 Jahre abgesessen, wie lange will man ihn noch festhalten?“, fragt sie. Er habe eine Chance verdient. Ähnlich sieht das Richard Kurzenberger: „Es geht in Ordnung, ihn unter Auflagen freizulassen.“

"Der hat kein Recht auf Freiheit"

Wilfried Dietsch kennt auch andere Töne. Wenn der frühere Fürther Polizei-Direktor Gruppen durch das Kriminalmuseum im Rathauskeller führt, zeigten viele Teilnehmer wenig Verständnis, wenn es darum geht, dass Mörder nach 15 oder 20 Jahren freigelassen würden. „Der hat kein Recht, in die Freiheit zurückzukehren, heißt es dann“, berichtet Dietsch.

Dietsch kam erst 1966 zur Polizei. Den legendären Chef der Nürnberger Mordkommission, Emmeram Daucher, lernte er aber noch persönlich kennen. „Der hat sich mit Akribie und Gewissenhaftigkeit in die Fälle reingebissen.“ Und er habe eine „herausragende Vernehmungstaktik“ gehabt. Auf diese Weise habe er auch dem Mittagsmörder die weiteren Taten nachgewiesen.

Anders als mancher Teilnehmer seiner Führung hat Dietsch nach eigenen Worten „einen differenzierteren Blick“ auf die Freilassung. „Ich gehe davon aus, dass die Gutachter sorgfältig gearbeitet haben“, sagt er. „Man muss diesen Mann nicht im Gefängnis sterben lassen.“

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