Zum 100. Geburtstag 2008

Fürths Rundfunkpionier Max Grundig: Der Monarch der Marktwirtschaft

Birgit Heidingsfelder

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3.5.2008, 00:00 Uhr
Am Mittwoch, 7. Mai  2008, wäre der große Fürther Rundfunkpionier Max Grundig 100 Jahre alt geworden.

Am Mittwoch, 7. Mai  2008, wäre der große Fürther Rundfunkpionier Max Grundig 100 Jahre alt geworden.

Der Pappkamerad, der im Fürther Rundfunkmuseum siegessicher lächelnd posiert, ist von so geringer Statur, dass die meisten Besucher auf ihn herabblicken. «In Wirklichkeit war er noch ein bisschen kleiner», sagt Museumschef Gerd Walther. Max Grundig, einer der größten Unternehmer der Nachkriegszeit, maß gerade mal einen Meter und 65 Zentimeter.

Sein Selbstbewusstsein indes schien grenzenlos. Das kam wohl daher, meinte sein Biograf Egon Fein, dass Grundig früh zum Lebensunterhalt seiner Mutter und seiner drei Schwestern beitragen musste. 1908 als Sohn eines Lagerverwalters in Nürnberg-Gostenhof geboren, ist er zwölf Jahre alt, als sein Vater an den Folgen einer Blinddarmoperation stirbt. Von dem bisschen Geld, das die Mutter aus der Fabrik heimbringt, lebt die Familie mehr schlecht als recht. Er habe «von früh bis abends Hunger gehabt», wird Grundig später über seine Kindheit sagen.

Mit 14 beginnt er eine Lehre als Installateur. Er erweist sich als fleißig und pfiffig, behauptet sich im Betrieb, bastelt nebenbei Radiogeräte und eröffnet 1930 mit einem Freund sein erstes Geschäft: eine Radiohandlung in Fürth. Als Goldgrube erweist sich, dass in Nürnberg Wechsel- und in Fürth Gleichstrom aus der Steckdose kommt. Bei Umzügen brennen die Trafos der Radiogeräte durch. Der Laden in der heutigen Ludwig-Erhard-Straße lebt von den Reparaturen, die Grundig selbst ausführt, vom Verkauf von Trafos, Spulen und Radiogeräten.

Letztere sind heiß begehrt und von den Nazis zwecks Propaganda sehr erwünscht. Das Geschäft floriert, 1938 setzt Grundig eine Million Reichsmark um - mittlerweile in der Schwabacher Straße 1, in einem größeren Geschäft und nunmehr ohne Kompagnon. Es ist der Beginn einer jahrzehntelangen Erfolgsgeschichte.

Über den Krieg rettet der spätere Großindustrielle sein Unternehmen dadurch, dass er seine Fertigung hinaus nach Vach verlegt. Mit Bombenangriffen ist hier eher nicht zu rechnen. Grundig, der laut Museumsleiter Walther «politisch nie hervorgetreten ist», stellt nun Trafos und Zünder für die Wehrmacht her und beschäftigt ukrainische Zwangarbeiterinnen. Er versorgt sie gut. Die Frauen danken ihm das, indem sie sein Firmeneigentum nach Kriegsende bewachen und so vor Plünderung und Zerstörung bewahren.

Nun offenbart sich die ganze Cleverness dieses Machers. Sein Geniestreich ist der «Heinzelmann», ein selbst zu montierender Rundfunkempfänger. Grundig verkauft ihn offiziell als Spielzeug und umgeht so die Beschränkungen der Alliierten beim Radioverkauf. Wenn der «Heinzelmann» heute im Museum sehnsuchtsvoll-knisternd Rudi Schurickes Capri-Fischer ausspuckt, ahnt man, wonach die Deutschen in den Trümmerjahren lechzten: nach Sonne und Strand, nach ein bisschen Ablenkung und Unterhaltung.

Grundig bietet sie ihnen. Der «Heinzelmann» wird zum Kassenschlager. In einer 2006 ausgestrahlten NDR-Fernsehdokumentation von Tom Ockers erinnert sich Max Grundig in lässigem Tonfall: «Einige hunderttausend Stück hammer gebaut. Wir ham die verkauft, wir ham das Geld nimmer gezählt.» Dabei hat er - ganz Boss, ganz Sieger - beide Daumen ins Revers seines Sakkos eingehakt.

Auf den «Heinzelmann» folgen weitere Erfolgsmodelle wie der «Weltklang», die «Stenorette» und vor allem die neuen Fernsehapparate. Die Produktion läuft - zunächst in der Jakobinenstraße - auf Hochtouren. Derweil schachert Grundig so virtuos mit Radios, Kohlen, Zigaretten und Zement, dass es ihm gelingt, ab 1947 an der Kurgartenstraße eine stetig wachsende Fabrikstadt hochzuziehen. In ihren Werkshallen summt und brummt es wie in Bienenstöcken.

Bereits 1952 nennt sich Grundig «größter Rundfunkproduzent Europas», in den 70er Jahren beschäftigt er fast 40 000 Menschen. Fürths IG-Metall-Bevollmächtigter Thomas Händel hat mit 17 bei Grundig angefangen, eine Lehre als Elektromechaniker absolviert und in der Firma die Jugendvertretung übernommen. «Den Chef», sagt der 54-Jährige, «bekam man zu dieser Zeit nicht mehr zu Gesicht.»

Es sind die 70er, die RAF ermordet Politiker und Wirtschaftsbosse. Max Grundig, längst ein Global Player mit Privatjet und Werken im In- und Ausland, gilt als anschlagsgefährdet und wird streng bewacht. Vor seinem Büro, heute das Café des Rundfunkmuseums, sind stets Sicherheitsleute postiert. Weil Terroristen die nahe Bahntrasse für ein Attentat nutzen könnten, verlässt Grundig 1979 seine Villa am Europakanal und quartiert sich in seinem eben erbauten Hotel «Forsthaus» in Dambach ein. Seine Wohnung dort gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Im Privatlift gelangt der Milliardär nonstop in die oberen Etagen, das Treppenhaus ist vergittert. Grundig ist 71 Jahre alt. Seine Familie - zu dieser Zeit sind das seine künftige dritte Ehefrau Chantal, deren Mutter und Tochter Valérie, die Grundig später adoptiert - residiert mit Pudel und Papagei auf 900 Quadratmetern beziehungsweise zwei Etagen.

Da oben umgibt Grundig sich mit Ölgemälden, handgeknüpften Teppichen, holzgeschnitzten Skulpturen. Andererseits hat er, so erinnert sich der damalige Hoteldirektor Klaus E. Plieth (59), wenig übrig für viele Luxusartikel, die ihm tagaus, tagein geschenkt werden. Einen silbernen Hammelkeulenhalter mit seinen Initialen tut er ab mit den Worten: «Was soll das?»

Die kulinarischen Wünsche des Hausherrn sind schlicht. «Er bevorzugte Hausmannskost, Gulasch, Brathering, Rouladen», sagt Plieth. «Ein Backstakäs war ihm lieber als Kaviar, und Champagner betrachtete er als blanke Geldverschwendung.» Auch für Alkohol hatte Max Grundig offenbar wenig übrig: «Abends hat er immer Kräutertee getrunken, den aber aus einem goldenen Becher.»

Die Menschen nennen ihn «Monarch der Marktwirtschaft» - und fürchten seine Impulsivität. Grundig wirft schon mal einen Fernseher aus dem Fenster, sagte einmal sein einstiger Laborleiter Walter Mayer, «weil ihm das Design nicht passte». Und er feuert Mitarbeiter, nur weil sie widersprechen. In den langen Fluren der Konzernverwaltung an der Kurgartenstraße schaltet Grundig laut Händel eigenhändig die Neonleuchten ab. Ein Techniker rechnet ihm vor, dass er so mehr Strom verbrauche als wenn die Lampen durchgängig brennen. Der Mann muss gehen.

Wen der Chef mittels seiner berüchtigten Zettel mit dem großen «R» - «R» steht für Rücksprache - zu sich zitiert, kommt mit zitternden Knien. Die antreten, sind keine Lehrlinge, sondern gestandene Abteilungsleiter wie Walter Mayer. Der Vater des Stadtheimatpflegers Alexander Mayer war 40 Jahre bei Grundig. 1951 fing er im Fernsehlabor an, als Chef der Patentabteilung ging er 1991 in den Ruhestand. Max Grundig war für ihn ein Mann, den er respektierte, nicht verehrte. Ein «Diktator», dem er, wie auch viele Manager, nie zu widersprechen gewagt hätte. «Sonntags hat er hier im Hotel seine Führungsriege antanzen lassen», sagt auch Plieth. «Dann haben die ihr Fett weggekriegt. Die gingen hier raus, mit blassem Gesicht und verdrehten die Augen.»

Kritiker werfen Grundig vor, den Niedergang seines Lebenswerks selbst eingeleitet zu haben, weil er es versäumte, im Konzern Nachfolger aufzubauen und zu spät auf die Konkurrenz aus Fernost reagierte. Seine «Beratungsresistenz», so Händel, habe sich schon abgezeichnet, als er Anfang der 70er Jahre den Markt mit Tonmöbeln überschwemmte, die keiner wollte, und sie dann gegen Wodka in die Sowjetunion verscherbelte. «In manchen Büros standen Kartons voller Moskovskaya, und der Wodka-Umsatz im Betrieb schnellte in die Höhe.»

Doch damals, das sagt Händel auch, «hielten wir Grundig für unerschütterlich». Es ist die Zeit, in der proppenvolle Werksbusse Menschen aus allen Himmelsrichtungen nach Fürth und Nürnberg bringen. 140 Busse befördern 4500 Fahrgäste 15 000 Kilometer täglich zu ihrem Arbeitsplatz und umkreisen dabei in drei Tagen einmal die Erde, heißt es 1965 in der Firmenzeitschrift. Irgendwann beginnt, zunächst still und unbemerkt, der Niedergang. 1984 verkauft Grundig an Philips, sein Lebenswerk wird zur Zweigstelle der Holländer. Grundigs letzter Coup: Er handelt aus, dass seine Familie 20 Jahre lang 45 Millionen Mark pro Jahr erhalten soll - egal, wie es der Firma geht.

Dann zieht sich Max Grundig aus dem Geschäft zurück. Er verlässt Franken, seine Heimat, und baut ein Hotel-Imperium auf, zu dem die Bühler Höhe bei Baden-Baden zählt. 1989 stirbt er. Er hinterlässt die Adoptivtochter Valérie, die Töchter Inge aus erster Ehe und Maria-Alexandra aus dritter Ehe sowie seine Frau Chantal. Über seiner Familie geht ein Geldregen nieder.

Für die Angestellten des Weltkonzerns, der heute nur noch dem Namen nach in einigen kleinen GmbHs weiterexistiert, beginnt dagegen die lange Zeit des Hoffens und Bangens, der Kundgebungen und Kündigungen. 2003 meldet das, was von dem Lebenswerk des Rundfunkpioniers übrig geblieben ist, Insolvenz an. Grundigs Glanz und Gloria ist Geschichte. Für Menschen wie Klaus E. Plieth aber bleibt Max Grundig wohl für immer «einer der letzten Könige».

Das Rundfunkmuseum eröffnet morgen die Jubiläumsausstellung «Happy birthday, Max Grundig» und lädt am Mittwoch, 7. Mai, zur Geburtstagsfeier mit Führungen und alten Schlagern ein. Stadtheimatpfleger Mayer präsentiert dabei Auszüge aus seinem neuen Bildband «Grundig und das Wirtschaftswunder».