Die Ankunft der Freiheit — Ein Traum

7.2.2012, 08:34 Uhr
Die Ankunft der Freiheit — Ein Traum

© Winckler

Eine Einladung zu einem großen Fest in einer syrischen Familie. Es muss eine politisch bedeutsame Familie gewesen sein, ein Minister, ein Präsident, jedenfalls waren jede Menge Leibwächter anwesend. Auch ich wurde untersucht, aber höflich und zuvorkommend.

Es gab zwei Zentren in diesem prächtigen, aber irgendwie düsteren Saal. Weiter vorne am Eingang saß die Männerwelt, im lichteren Teil weiter hinten, ein gutes Stück entfernt von den Männern, saß ganz allein eine junge Frau, die Tochter des Gastgebers vielleicht, eine, wie mir schien, geachtete Person. Sie trank Tee und naschte von kandierten Früchten, die in kleinen Schalen aus feinstem Porzellan auf einem silbernen Tablett standen. Alles an ihr wirkte edel, aber von westlichem Zuschnitt. Mir dünkte, als sei die ganze Person in derselben Manufaktur entstanden wie ihr chinesisches Porzellan. Aber warum saß sie weit entfernt von den anderen? Keine Dienerinnen, Freundinnen, niemand war bei ihr.

Ich allein, obwohl ein Mann aus einem anderen Kulturkreis, durfte mit ihr sprechen, aber das Gespräch war wenig kommunikativ. Melancholisch saß sie hingegossen, naschend und träumend. Neben sich, in ihrem großen Sessel, hatte sie einen oben offenen Karton voller schwarzer piepsender Küken. Hin und wieder hob sie vorsichtig eines der Vögelchen heraus, strich behutsam über das Federkleid. Dann, mit einer kurzen, entschlossenen Gebärde, gab sie mir das Küken vorsichtig in beide Hände, ich sollte es zu einem ihrer männlichen Verwandten bringen, als Botschaft, Gruß, Geste, die für eine versöhnlichere, schönere Welt werben sollte? Ich weiß es nicht.

Erhobenen Hauptes schritt ich, der Würde meines Auftrag, den ich nicht verstand, aber erahnte, wohl bewusst. Ich brachte das Tier zu ihrem Vater. Der saß auf einem Thron, prachtvoll saß er und sonnengegerbt, allein die goldenen Borden seines weißen Gewandes waren ein Vermögen wert. „Ach, meine Tochter, schon wieder. Sie kann es nicht lassen!“, sagte er gütig lächelnd, nahm das Tier aus meinen Händen, strich einmal kurz mit dem Daumen über das Köpfchen, das machte Hoffnung, aber dann drehte er mit einer gleichgültigen Bewegung zwischen zwei Fingern der linken Hand dem Tierchen den Hals um. Angewidert ließ er es zu Boden fallen. Dabei sandte er einen kurzen, prüfenden Blick zu seiner fernen Tochter. Eine stählerne Brücke verband kurzzeitig die beiden. Augenqual.

Um den Vater, den Fürsten, herum lagen schon viele andere Küken. Vergebliche Liebesmühen.

Die Tochter wiederholte verzweifelt ihre Versuche. Sie schickte mich mit je einem beschmusten Küken zu dem einen und dem anderen Bruder. Die großen Augen der Prinzessin füllten sich mehr und mehr mit Tränen. Ein Tränensee.

Es half nichts.

Übrigens hielt mich niemand auf. Niemand nahm mir meine Vermittlungsversuche übel. Ich war ein nützlicher, ein harmloser, ein fremder Idiot.

Aber Besucher draußen vor dem Saal hatten die Macht der weiblichen Symbolsprache verstanden. Der Prinzessin Beharrlichkeit hatte sich herumgesprochen. Immer mehr Besucher kamen mit schwarzen Küken als Gastgeschenken an. Wächter hielten sie an und wiesen sie ab. Aber es half nichts. Ich durfte die Küken trotzdem zu der Tochter bringen. Viele Tierchen wurden einfach zertrampelt, die Geretteten entgingen dem Halsumdrehen nicht.

Doch es war eine stumme, eine friedliche Revolte.

Ich jedoch, der Träumer, war geehrt, aber unglücklich. Ich war der Idiot.

 

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