Die Einheit: „Gottesgabe, Segen, unglaubliches Ereignis“

3.10.2015, 10:00 Uhr
Die Einheit: „Gottesgabe, Segen, unglaubliches Ereignis“

© Karmann (dpa)

25 Jahre nach der Feier der deutschen Einheit ist Katrin Fischer eine begehrte Gesprächspartnerin: Die Nachrichtenagentur dpa bat um ein Interview, dann der Bayerische Rundfunk, schließlich rufen auch noch die FN an. Schuld ist Fischers Liebe zu den Trabis.

Aber von Anfang an: Katrin Fischer war 16, als die Mauer fiel – und konnte dem Ereignis als junger Mensch gar nicht so eine große Bedeutung beimessen, erzählt sie. Mit ihrer Familie lebte sie damals im sächsischen Freiberg. „Ich hatte eine normale Kindheit – das war ja für uns alles normal.“

Zur Kindheit gehörte die Oma, die diesen besonderen Schrank hatte: „Immer wenn sie den aufgemacht hat, wusste ich, da liegt Milka-Schokolade drin.“ Dank der „West-Verwandtschaft“ kam das häufiger vor.

Weggehen von zuhause wollte die junge Frau eigentlich gar nicht: Doch nach der Einheit kam für sie wie für viele andere die Arbeitslosigkeit: Nach der Lehre als Köchin fand sie keinen Job. In dieser Zeit, sagt sie, „hatte man fast das Gefühl, als wäre alles niedergemetzelt worden.“ Ziemlich schmerzhaft wurde der Osten „in ein bestehendes System eingefügt“; vor allem ältere Generationen – die ihrer Eltern und Großeltern – taten sich schwer.

Die Einheit: „Gottesgabe, Segen, unglaubliches Ereignis“

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Fischer folgte 1992 ihrem Freund in den Westen, hatte in Nürnberg gleich Arbeit. Seit 18 Jahren lebt sie nun schon in Obermichelbach, hat hier mit anderen Trabi-Liebhabern die „Trabant-Szene Fürth“ gegründet: Wer, wenn nicht die Fischers, könnten also über die Einheit sprechen?

Die Fischers haben zwei Trabis – einen „Alltagstrabi“ und ein „Schönwetterfahrzeug“. Sie sind „ein Stück Erinnerung“: Trabis waren früher das Highlight, sagt Katrin Fischer (42), sie bedeuteten Mobilität, man habe sie gehegt und gepflegt, fuhr damit in den Sommerurlaub an die Ostsee. Die Fischers haben aber auch zwei Kinder, die die Mauer nur vom Erzählen kennen und in einem Land ohne Grenze groß geworden sind: Was bedeutet ihr die Einheit? „Es ist zusammen, was zusammengehört.“

Betrifft: Liebevoll aufgenommen.  Es ist uns ein Bedürfnis, als DDR-Bürger dem Oberbürgermeister der Stadt Fürth und den Bürgern der Bundesrepublik Deutschland unseren tiefempfundenen Dank auszusprechen. Wir danken für den überall herzlichen Empfang in Ihrem Land; wir danken für das (in der Welt wohl einmalige) Begrüßungsgeld (. . .)

Sicher ist es verständlich, dass es den meisten DDR-Bürgern peinlich ist, mittellos in die Bundesrepublik einzureisen und dort auch noch beschenkt zu werden. Andererseits ist es für viele die einzige Möglichkeit, die Wahrheit über Ihr Land kennenzulernen. Dabei kann man sich diesen und jenen kleinen Wunsch noch erfüllen.

Wir kämpfen um eine weitere Normalisierung im deutsch-deutschen Umgang und glauben, die Bürger der Bundesrepublik an unserer Seite zu haben.

Dieser Leserbrief von Peter Bärthel aus „Karl-Marx-Stadt, DDR“ erschien am 15. Januar 1990 in den FN.

Wirtschaftsnachrichten aus dem März 1990: Erstmals bietet der Fürther Grundig-Konzern im Leipziger Kaufhaus „Konsument“ auf einem eigenen Verkaufsstand Diktiergeräte an. Der Konzern rechnet mit guten Marktchancen in der DDR, berichten die FN: „Bei einer unabhängigen Marktuntersuchung fanden Forscher heraus, dass rund 60 Prozent der befragten DDR-Bürger vorrangig an einem Gerät aus dem Hause des Fürther Herstellers interessiert wären.“

Hilfspaket: Als im Februar 1990 der Fürther Landrat Dietrich Sommerschuh mit einer Delegation des Roten Kreuzes und der Feuerwehr nach Stollberg reist, haben sie ein Geschenk dabei: einen voluminösen Fotokopierer der Nürnberger Firma Jakob Beck, den Superintendent Martin Kreher gerne entgegennahm, so die FN: „Er betonte, das Gerät sei ein ganz starkes Hilfsmittel, denn was bisher seit Herbst in der DDR geschehen sei, sei erst durch das verbreitete Wort möglich geworden. Allerdings: Man habe auch ohne solche Hilfsmittel viel erreicht. Auf die erste Demonstration in Stollberg, bei der am 4. November von 14 000 Einwohnern 10 000 gekommen seien, hätten gerade zwei Zettel aufmerksam gemacht, einer an der Kirche und der andere im Schaukasten.“

Der große Tag: Am 3. Oktober 1990 wird in Fürth nicht nur die deutsche Einheit gefeiert – sondern auch die Kirchweih. Sie dient als Kulisse für die Festrede des Oberbürgermeisters an diesem Tag: Vor dem Stadttheater ruft Uwe Lichtenberg dazu auf, „Kerzen in unserem Innern anzuzünden, dass es uns warm wird ums Herz“, und die Teilung durch Teilen zu überwinden und nicht kleinlich über die Finanzierung der deutschen Einheit zu diskutieren. „Wir sind auf dem Weg, das gemeinsame Haus Europa zu erreichten. In diesem europäischen Haus wird es wesentlich darauf ankommen, den Raum „Deutschland“ so zu gestalten, dass die anderen Nachbarn ohne Vorbehalte mit uns darin leben können.“ Zu Gast ist der stellvertretende Landrat (CDU) aus Aue, der versichert: Frei von Trauer, Diktatur, Demagogie und Machtmissbrauch atme das Volk jetzt auf.

Die Einheit: „Gottesgabe, Segen, unglaubliches Ereignis“

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Aber auch Kritik wird laut: Der damalige SPD-Unterbezirksvorsitzende Günter Witzsch lastet bei einer Feierstunde dem ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer an, durch Missachtung der sowjetischen Vorschläge die deutsche Einheit nicht schon vor 37 Jahren ermöglicht zu haben. Und der damalige SPD-Bundestagskandidat Thomas Jung beklagt, dass es den Menschen in Ostdeutschland „durch die verfrühte Einführung der Wirtschaftsunion“ heute schlechter gehe als zuvor.

Erste Eindrücke: Ein FN-Redakteur ist Anfang 1990 nach Aue gereist, um Eindrücke zu sammeln: Zwischen Trabis und prächtigen Gründerzeithäusern sucht er nach Orientierung: „Die Buchhändlerin entschuldigt sich breit sächselnd für das Fehlen eines Stadtplans: ,Seit Jahren haben wir nichts mehr über unsere Stadt, aber vielleicht wird das ja auch bald besser!‘

Bei der Kommunalwahl im Mai 1990 verliert Dietrich Sommerschuh (SPD) sein Amt an Gabriele Pauli (CSU). Nur zehn Tages später beginnt für den ehemaligen Fürther Landrat ein neues Leben: Fortan pendelt er – um beim Aufbau demokratischer Strukturen zu helfen – vier Jahre lang mit seiner Frau Woche für Woche nach Dresden und zurück, sonntagnachmittags geht es hin, donnerstagnachmittags zurück nach Franken.

Sommerschuh gibt sein Wissen weiter und organisiert die Gründung des sächsischen Landkreistags, nach zwei Jahren wird er dessen Geschäftsführer. Die Hilfe im Osten ist für ihn naheliegend: Er ist im Erzgebirge zur Welt gekommen, kam selbst als Zwölfjähriger nach Großhabersdorf.

Was ihm die Einheit bedeutet? „Die Eindrücke sind gewaltig“, sagt er, „das war eine Gottesgabe, ein Segen, ein unglaubliches Ereignis“. Wenngleich er weiß, unter welchen Opfern sie erreicht wurde: Auch er denkt an die Arbeitslosigkeit, die bittere Enttäuschung vieler Menschen. Sein Eindruck sei damals gewesen: 30 Jahre wird es wohl dauern, bis das Land ganz zusammenwächst. Das könnte hinkommen, meint er heute.

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