Die Jagd nach dem Stein der Weisen

18.12.2012, 10:14 Uhr
Die Jagd nach dem Stein der Weisen

© De Geare

Rudolf II., ehedem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, war ein launischer Herrscher. Politik und alles was damit zusammenhing interessierte ihn kaum, sein Herz schlug für Kunst und Wissenschaft. Eine seiner großen Leidenschaften war die Malerei, weshalb er sich von seinem Lieblingsmaler Arcimboldo als eine Art Obst- und Gemüseplatte portraitieren ließ. Noch wichtiger war ihm die Alchemie, genauer: die Suche nach dem Stein der Weisen, weshalb er in seinen Laboratorien auf der Prager Burg teilweise einen ganzen Stab von mehr oder minder begabten Quacksalbern beschäftigte.

Der sagenhafte Stein sollte der Schlüssel zum Erfolg auf allen Gebieten sein. Unter anderem wurde ihm nachgesagt, jegliche Art von Krankheit zu heilen und, was in Rudolfs Situation noch mehr zählte, unedle Metalle in Gold verwandeln zu können. Ein Megajackpot, ein Goldesel sollte er sein. Stattdessen verschlang die Forschung der kaiserlichen Steinjäger Unsummen und Rudolf bekam im Laufe der Jahre einen massiven Dachschaden, bevor er mit knapp 60 das Zeitliche segnete.

Die Suche nach dem universellen Wundermittel, dem Patentrezept für alle Lebenslagen, läuft indes bis heute auf Hochtouren weiter, scheint im 21. Jahrhundert sogar auf fruchtbareren Boden zu fallen als je zuvor. Auch an den Zielvorgaben und Quacksalbermethoden hat sich seit Rudolfs Zeiten kaum etwas verändert. Während die Pulvermischer und Pillendreher der Pharmaindustrie in ihren Labors ein Wundermittel nach dem nächsten zaubern, das uns möglichst lang möglichst leistungs- und zahlungsfähig hält, bevor unser Glöcklein zum letzten Mal läutet, erklären uns die modernen Alchimisten in Banken, Börsen und der Politik, wie man aus Nichts Geld macht und aus Hohlphrasen Gold drischt.

Die Suche nach dem Stein der Weisen zeitigt aber auch eine ganze Reihe von Nebenprodukten. So quellen die Regale der Buchgeschäfte über von Ratgebern, von ultimativen Glücks-, Erfolgs- oder Gesundheitsformeln, von Büchern mit Titeln wie „Tipps vom Hundeflüsterer“, „Wie schreibe ich einen Bestseller“ oder „Wie werde ich Bill Gates?“ Auf der Mattscheibe erklären uns sogenannte Experten, wie wir aus der Schuldenfalle raus und in die Elternrolle reinkommen, oder wie wir unser Wohnzimmer tapezieren und unser Klo putzen sollen, ohne dabei unsere CO2-Bilanz aus den Augen zu verlieren.

In uns allen scheint ein kleiner Kaiser Rudolf zu stecken, denn die Ratgeber gehen weg wie warme Semmeln und Ratgebersendungen sprießen in der Fernsehlandschaft wie Schimmelpilze. Wir scheinen andauernd auf der Suche nach den ganz speziellen Zutaten zu sein, die uns, in der richtigen Dosis und Reihenfolge konsumiert, schön, glücklich, reich und unsterblich machen und auch noch dafür sorgen, dass Bello die Wade von Tante Martel endlich in Frieden lässt.

Der Glaube an die Wunderformel ist schon so tief in uns verankert, dass Begriffe wie Schicksal, Zufall oder Bestimmung am Aussterben sind und unser Leben immer mehr einem Kochbuch gleicht. Es ist schwer, sich diesem allgemeinen Sog zu entziehen.

Ein Beispiel. Vor kurzem konnte man über Kaya lesen. Kaya ist das einzige Schulkind auf der Nordseeinsel Neuwerk, die so winzig ist, dass sie auf Deutschlandkarten nicht einmal auftaucht. Weil aber die Neuwerker Zwergenschule kürzlich ihr 100-jähriges Bestehen feierte, wanderten Kaya, ihre Lehrerin, das Klassenzimmer und der ganze kleine Kosmos hinterm Deich durch die deutsche Medienlandschaft. In einem Interview sagt Kaya, schreiben Sie nicht, dass ich Tierärztin werden will, schreiben Sie, dass ich Tierärztin werde! Man glaubt es ihr und denkt: Holla, ganz schön energisch die Kleine! Und dann reflexartig (und ganz Rudolf), woher hat sie das? Warum wissen einige Menschen schon immer, was sie einmal sein und machen werden? Was schenkt ihnen die Kraft, eine derart starke Vorstellung von ihrer Zukunft zu haben und diese wie einen Leuchtturm vor sich herzutragen, während andere durchs Leben eiern und stolpern wie verirrte Trottellummen bei Ebbe?

Liegt es an der Abgeschiedenheit der Insel, der Ruhe, der Natur, am Einzelunterricht, dass diese gerade einmal Zehnjährige so klar sieht und so selbstbewusst auftritt, während die meisten Kinder in diesem Alter noch zwischen Supermodell und Superstar schwanken? Sollten wir, statt Windparks in die Nordsee zu pflanzen, dort lieber künstliche Inseln mit Zwergenschulen aufschütten und auf eine Generation von Superkindern hoffen? Oder sollten wir stattdessen den ganzen Quark mit der Suche nach dem Patentrezept für jeden und alles über Bord kippen und einfach akzeptieren, dass einige Menschen, genau wie Dinge oder Momente, nun mal selten und gerade deshalb etwas ganz Besonderes sind?

Fest steht: Hätte Kaiser Rudolf oder ein anderer Alchimistenfürst bei der Suche nach dem Stein der Weisen Erfolg gehabt, wäre Gold heute weniger wert als der Ruf der Trottellumme — die übrigens ein ganz zauberhafter Vogel ist. 



 

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