„Die Kirche verletzt Rechte“

6.11.2013, 22:00 Uhr

((Platzhalter))Kämpfe um Religionsfreiheit – ist das als Thema für diesen Abend nicht eine zu schwere Kost?

Müller: Nein, ich denke nicht. Die Probleme finden sich häufig im Alltag der Menschen. Und Religionsfreiheit hat mit ihnen zu tun, es schützt sie als Person. Der Mensch, der im Mittelpunkt steht, ist der Ausgangspunkt. Die Religion zu wechseln, das ist ein menschenrechtlicher Anspruch, der in mehreren Gesetzen europa- und deutschlandweit geregelt ist. Zudem ist die Religionsfreiheit weltweit im Rahmen der Vereinten Nationen geschützt. Demnach darf niemand für seinen Glauben verurteilt oder benachteiligt werden.

Wie sieht es mit der Umsetzung aus?

Müller: Rechtlich hat jeder die Wahl, aber bei der Umsetzung gibt es Probleme. In einigen Ländern ist es zwingend, zu einer bestimmten religiösen Gruppe zu gehören – entweder aus sozialen Gründen oder sogar, weil nur bestimmte Religionen rechtlich überhaupt anerkannt werden. Auszuscheren bringt für Betroffene oft gravierende materielle Nachteile mit sich, das kann bis zur Ausgrenzung und harten Strafen führen. In einigen islamisch geprägten Familienrechtsordnungen können sie beispielsweise das Sorgerecht ihrer Kinder verlieren. In Pakistan kann es so weit gehen, dass dafür die Todesstrafe verhängt wird.

Austritte aus einer religiösen Gemeinschaft können aber auch in Deutschland gravierende Probleme mit sich bringen...

Müller: Es ist bei uns tatsächlich ein Problem, wenn Menschen ihre Arbeit bei Organisationen wie der Caritas verlieren, weil sie aus der katholischen Kirche austreten. Ich finde, dass Mitarbeiter, die nicht im verkündungsnahen Bereich arbeiten, ein Recht auf ein privates Leben haben müssen. Hier gilt es, das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen mit den Menschenrechten der Personen in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Einen Kirchenmusiker zu entlassen, weil seine Ehe auseinander ging und er mit einer neuen Frau zusammen lebt – das betrifft den persönlichsten Bereich eines Menschen und sollte auch von den Kirchen respektiert werden. Auch einen Nachhilfelehrer zu entlassen, so wie es in Mannheim geschah, weil er aus der Kirche austrat, das ist nicht in Ordnung. Wie schon gesagt, es muss eine Abwägung vorgenommen werden. Menschen jedoch, wie in den hier beschriebenen Fällen, in existenzielle Nöte zu bringen, ihnen die Arbeit und Basis ihres Lebens zu nehmen – das verletzt persönliche Rechte. Das geht zu weit.

Was lässt sich Ihrer Meinung nach ändern?

Müller: Wichtig ist zuerst, dass die Kirchen sich selbst fragen, wie sie mit den menschenrechtlichen Positionen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgehen möchten. Zudem sollten die Gerichte diese Rechte klarer durchsetzen, auch gegenüber kirchlichen Trägern. Ein Beispiel: Der Staat schafft die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare ab – und die katholische Kirche führt sie fort. Das geht so nicht. In einem Land, in dem geschätzte 1,2 Millionen Menschen bei kirchlichen Trägern arbeiten, sollte mit Augenmaß gehandelt werden, wenn es um drastische Maßnahmen wie Entlassungen geht.

Wie geht die evangelische Kirche damit um, wenn sich ein Mitglied, das in einer ihrer Einrichtungen arbeitet, nicht kirchenkonform verhält?

Müller: Die evangelische Kirche ist deutlich liberaler und toleriert die verschiedenen privaten Gemeinschaften. Es gibt Pfarrer und Pfarrerinnen, auch geschiedene und wiederverheiratete, die trotzdem weiter in ihren Gemeinden arbeiten. Und wir reden miteinander, wenn es Diskrepanzen gibt. Aber manchmal beobachten wir auch bei der evangelischen Kirche, dass sie über das Ziel hinausschießt.

Müsste für die Freiheit der Religion im 21. Jahrhundert noch intensiver gekämpft werden?

Müller: Für einzelne Betroffene ist das tatsächlich ein Kampf. Aber auch das Ringen muslimischer Gemeinden um Moscheen, als Teil der Religionsfreiheit geschützt, muss erwähnt werden. Wir haben in Deutschland die Tendenz, sehr kritisch mit anderen Religionen umzugehen. Es gibt viel Miss- und Unverständnis, da sehe ich große Probleme. Außerdem herrscht ein Transparenz- und Diskursdefizit; dieses zu verringern, gehört auch zu den Kämpfen dieses aufregenden Jahrhunderts. Vielleicht entwickelt es sich ja in eine andere Richtung – weg vom Kämpfen, hin zum Zuhören.
 

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