Die Nadel im Knochen: Roßtal übt

2.6.2017, 09:00 Uhr
Die Nadel im Knochen: Roßtal übt

© Foto: Max Söllner

"Ein 68er Puls!", hallt es durch die Mittelschule Roßtal. Eine hochschwangere Frau wird für den Transport vorbereitet. Um die Ecke liegt ein Motorradfahrer verletzt auf dem Boden, vorsichtig wird er von seinem Helm befreit. "Die Halskette würde ich jetzt abnehmen", gibt einer der Retter zu Protokoll, sein Kollege notiert. Heutzutage muss auch bei einem alltäglichen Rettungseinsatz alles schriftlich festgehalten werden. Denn wenn etwas schief läuft, könnte eine Klage drohen – zumindest theoretisch: Dem BRK Roßtal blieb dies bislang erspart. Die Helfer üben auch regelmäßig: Jeden Dienstagabend treffen sich die Erwachsenen, am Mittwoch dann der 20-köpfige Nachwuchs vom Jugendrotkreuz (JRK).

Jetzt findet erstmals ein gemeinsamer Übungstag statt. "Es war ein Wunsch der Gemeinschaft" sagt Rudi Jordan, der seit 30 Jahren im BRK aktiv ist und die Veranstaltung organisiert hat. Im Unterschied zu den Gruppenstunden unter der Woche können heute realistische Situationen mit "echten" Verletzten und unter der Aufsicht von Trainern geübt werden. 15 Teilnehmer von BRK, JRK und sogar der Feuerwehr sind gekommen, sie arbeiten zu dritt in Kleingruppen.

Vier verschiedene Szenarien mit jeweils unterschiedlichen Problemstellungen stehen zur Wahl, es wird gelost. Kurz vor der Mittagspause verunglückt der Motorradfahrer, die schwangere Frau benötigt den Krankentransport, dann ist da noch der Mann, der über Atembeschwerden klagt — ein Fall für die innere Medizin. Proband Nummer vier weist eine hängende Schulter auf, Diagnose: Schlaganfall. Zum Glück nur eine Übung.

Unterdessen lernt die fünfte Gruppe den "EZ-IO" kennen. Was aussieht wie ein Akkuschrauber, dient in Wirklichkeit dazu, eine Nadel in den Knochen zu bohren. Etwa, wenn das Opfer eingeklemmt ist, bereits einen großen Blutverlust erlitten hat oder keine geeigneten Venen auffindbar sind. Mit Reanimations- oder Kochsalzlösungen "kommen so ganz schnell Medikamente rein", sagt Jordan. Geübt wird an Knochen und mit rohen Eiern: "Das Gefühl des Durchrutschens", das ohne entsprechende Routine einen gehörigen Schrecken auslösen kann, soll so vertrauter werden.

Einfühlsamer Umgang

Doch beim Übungstag geht es "nicht nur um die Apparate, sondern auch um Menschlichkeit", sagt Jürgen Klingert, Leiter der Bereitschaft: Einerseits der einfühlsame Umgang mit Verletzten, andererseits das gute Miteinander unter den Rettern. Sie sind in ihrer Ausbildung unterschiedlich weit. Von einem "kunterbunten Haufen", spricht Klaus Bauer, einer der Teilnehmer. "Und trotzdem funktioniert es." Klingert freut das, denn: "Nichts wäre schlimmer, als wenn heute jemand frustriert heimgeht."

Seit 1986 engagiert er sich in der Bereitschaft Roßtal, die aktuell 45 Mitglieder zählt — davon 25 Aktive. Was hat sich seitdem verändert? 2008 sei ein besonderes Jahr gewesen, als das BRK endlich eine dauerhafte Unterkunft neben der Mittelschule beziehen konnte. "Davor wurden wir viel rumgeschoben." Ansonsten treiben ihn Nachwuchssorgen um, ein gesellschaftliches Problem: "Viele sehen keinen Sinn mehr im Ehrenamt." Hinzu kommt, dass junge Menschen heute mobiler seien und etwa oft in anderen Städten studierten. Eine echte Herausforderung für "ortsgebundene Vereine" wie die BRK-Bereitschaft Roßtal. Für die übrigens kostenlose Mitgliedschaft verspricht er viel Gemeinschaftsgefühl sowie eine "familiäre Atmosphäre".

Beim Mittagessen sitzen derweil die JRK-Mitglieder Katharina Senkel und Hannah Kudelbauer zusammen. Sie sind zufrieden, bislang sei es sehr lehrreich und realer als bei den Übungsabenden gewesen. Beide sind über ihre in der Bereitschaft aktiven älteren Brüder "als Vorbilder" zum JRK gekommen, beide sind in Roßtal aufgewachsen — familiäre Atmosphäre eben. Und für sie ist klar: "Wir wollen auf jeden Fall weitermachen."

 

Keine Kommentare