Die Revolution der Göttersöhne

23.7.2016, 16:12 Uhr
Die Revolution der Göttersöhne

© Foto: PR/Costin Radu

Ballettmusik hat Christoph Willibald Gluck jede Menge komponiert. Aber neben vielen Einlagen für seine Opern und Singspiele nur ein einziges „richtiges“ Ballett: abseits von idyllischem Rokoko- und Schäferei-Getändel seinen „Don Juan oder Der steinerne Gast“ (gestern Abend im Theater Amberg). Was aus seiner maßvollen Ballettrevolution nach mehr als 200 Jahren wurde, zeigte man in Fürth mit einem Gastspiel des Balletts des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen und anhand von Igor Strawinsky.

Denn der hat mit seinen französischen und russischen Ballettfreunden Gegenentwürfe zur Petersburger Tschaikowsky-Tutu-Tradition entwickelt und mit der kleinen Ballettoper „Die Geschichte vom Soldaten“ das erste Beispiel einer Art von „Tanztheater“. Insofern mag man die zunächst befremdliche Werkauswahl für die noch bis 30. Juli laufenden Gluck-Opern-Festspiele denn doch akzeptieren.

Gegen jeden Pomp

Besonders nach einer so hinreißenden Aufführung der 70-Minuten-Story vom Soldaten, dem Teufel, der Geige und dem Zauberbuch, die sich ausdrücklich gegen allen Ballettpomp positioniert. Strawinsky hatte 1918 mit der Mangelsituation im Ersten Weltkrieg argumentiert, auch ein bisschen kokettiert, weil die Uraufführung großzügig finanziert wurde, aber auf jeden Kulissen-, Orchester-, Sängeraufwand verzichtet. Alles so billig wie möglich, ein bisschen improvisiert; trotzdem ist es ein Märchenstück geworden, das heute so erfrischend ist wie immer.

Ein gutes halbes Dutzend Musiker sitzt im Orchestergraben (Prague Philharmonia unter Marek Sedivy), muss hochvirtuose Ansprüche erfüllen und richtig nach Jazz klingen. Ein paar Landschaftstableaux (Otto Bubenicek) werden hin und her geschoben, und über die Bühne kobolzt ein herrlicher Teufel in rotem Turnhöschen und –schuhen (muskelbepackt und mit großen Sprüngen: Ledina Soto).

Der trifft den jungen, unbedarften Soldaten (Junior Demitre) auf Heimaturlaub und lässt einen gleich mehrere Märchen durchleben: „Hans im Glück“ & Co. Jörg und Otto Bubenicek erzählen in ihrer Choreografie das alles flott, die Kauzigkeit des Teufels oder der Hexe wird ganz auf den Erzähler (Sebastian Schwab) transferiert, während im Original eigentlich der Teufel sprechen und tanzen können sollte – aber wo gibt’s das schon? Der Königshof, wo der Soldat mit seinem Zauberbuch die Prinzessin von Melancholie heilt, kommt einem vor wie aus „Alice in Wonderland“, und Choreografie und Pantomimen sind auf akrobatisch-intensiven Hochglanz-Ausdruck getrimmt: Glucks Erbe!

Flackerndes Licht

Das wurde einem viel direkter mit dem „Orpheus“-Ballett von Strawinsky vorgeführt: Die mythische Geschichte wird von Cathy Marston neu erzählt und doch auch mit der George-Balanchine-Tradition verknüpft. Die faszinierendsten Momente hat die Neudeutung zu Beginn, als sich Göttersohn und Sänger Orpheus durch ein Gestängekonstrukt und flackerndes Licht zur toten Eurydike vortastet. Die Frau, die ihn dann durch das ganze Stück begleitet und am Ende allein zurückbleibt – ist das eine verdoppelte Eurydike oder vielleicht doch Amor, der das tödliche Spiel verliert?

Eher lächerlich ist die Verkleidung von Lemuren und sonstigen Geistern der Unterwelt in eine stereotype Soldateska. Berührend aber, dass die tote Eurydike die ganze Zeit über präsent bleibt. Marston verbindet die klassisch-antikisierende Ballettsprache Balanchines mit der Körpersprache des aktuellen Tanztheaters. Die Tänzer aus Gelsenkirchen, allen voran Peter Djorevski und Bridget Breiner, kommen wunderbar damit zurecht.

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