"Diese Entgleisungen sind durch nichts zu rechtfertigen"

24.3.2013, 10:00 Uhr

© Hans-Joachim Winckler

Deutlich wird bei den Diskussionen in der Kleeblattstadt immer, dass es vielen Menschen nicht mehr genügt, alle sechs Jahre an der Wahlurne ihre Stimme abzugeben: Man mischt sich ein. Die FN sprachen mit Rathauschef Thomas Jung über hartnäckige Bürgerinitiativen, grenzwertige Diskussionskultur und den schwierigen Umgang mit einer absoluten Mehrheit.

Herr Jung, wie würden Sie das derzeitige Lebensgefühl in Fürth beschreiben?

Jung: Leben und leben lassen. Fürth hatte nie ein Ghetto, nie eine Stadtmauer, war immer offen. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn immer mehr Menschen zuziehen.

Andererseits fällt auf, dass immer mehr Gruppen, Bürgerinitiativen und Verbände ein Wörtchen mitreden wollen. Ist das ein Zeichen wachsender Unzufriedenheit mit der Kommunalpolitik?

Jung: Das mag im Einzelfall zutreffen, aber Diskussionen und Interessengruppen gab es schon immer. Ich habe in der Stadt schon wesentlich härtere Auseinandersetzungen erlebt, ich erinnere mich an die Debatten um den U-Bahn-Bau und um die Schwelbrennanlage, die auch meine eigene Partei gespalten haben. Oft steckt dahinter persönliche Betroffenheit, etwa beim Ikea-Neubau, den ich gleich nach meiner Wahl durchgesetzt habe. Da waren Hunderte von Menschen auf Bürgerversammlungen, die mich teils mit sehr deftigen Ausdrücken bedacht haben.

Für Sie ist es also nicht gewöhnungsbedürftig, dass Bürger nicht mehr nur alle sechs Jahre bei der Kommunalwahl gefragt werden wollen?

Jung: Nein, das erleben wir immer wieder. Egal, ob in Oberfürberg ein Wohngebiet entstehen soll oder für Vach eine Umgehungsstraße angedacht ist. Gleichzeitig muss ich sagen, dass diese lokale Betroffenheit oft schon einen Stadtteil weiter niemanden mehr interessiert.

Die Lärmdiskussion um die Kneipen und Feste in der Gustavstraße bewegt ganz Fürth. Hier gibt es bisweilen sehr schrille Töne, viele wünschten sich, das Stadtoberhaupt hätte rechtzeitig moderierend eingegriffen. Würden Sie rückblickend manches anders machen?

Jung: Ob jetzt jede Äußerung von mir glücklich war, kann man diskutieren. Man muss aber auch mir zugestehen, dass ich mit ganzer Leidenschaft meinen Aufgaben nachkomme. Wir als Stadt haben sofort eingeräumt, dass es zu viele Zugeständnisse an die Wirte gab, haben einiges von dem rückgängig gemacht und uns um einen Kompromiss bemüht. Jetzt noch mehr auf die Anwohner zuzugehen, würde bedeuten, den Charakter dieser Straße zu verändern. Und das lehnt der Stadtrat fast geschlossen ab. Ich habe als Oberbürgermeister diese Beschlüsse umzusetzen. Man sollte das Thema also gar nicht zu sehr an meiner Person festmachen.

Die Anwohner wurden regelrecht in die Rolle von Hilfssheriffs gedrängt. Die Stadt hätte doch viel Luft aus dem Konflikt herrausnehmen können, wenn sie früher kontrolliert hätte, ob der Kompromiss eingehalten wird...

Jung: Nochmal: Wir haben überzogen, aber wir haben viel zurückgenommen. Statt 23 Uhr nun abends schon um 22 Uhr den Freischank einzustellen, wird es mit uns nicht geben.

Das ist weitgehend Konsens. Uns geht es aber eher um die Prägung der Diskussionskultur. Da gab es Sachbeschädigungen, Beleidigungen und Drohungen. Macht Ihnen das keine Angst?

Jung: Diese Attacken laufen stark übers Internet...

...auch, aber nicht nur...

Jung: Jedenfalls sind das Entgleisungen, die durch nichts zu rechtfertigen sind, und das ist auch kein reines Fürther Phänomen. Im Übrigen erlebe ich das selbst auch als Opfer, wobei ich jetzt nicht um Mitleid heische. Aber bei Diskussionen etwa um den Gärhausabriss wird im Internet auch mit meiner Person in einer Art und Weise umgegangen, die ich in elf Jahren bisher nicht erlebt habe. Da ist eine anonymisierte, überzogene Argumentationskultur entstanden.

Sollte man nicht gerade deshalb mäßigender auf Streitparteien einwirken, um solche Diskussionen seitens der Stadt nicht noch anzuheizen?

Jung: Die Entwicklung ist zu bedauern, aber Ursache dafür sind beide Seiten. Die Art und Weise, wie man seine Argumente vorbringt, kann auch provozieren. Und wer provozierend auftritt, sei es durch eine Namensgebung...

...Sie spielen auf den Namen des Vereins „Wir sind Fürth“ an?

Jung: Ja, denn dieser kann – auch wenn es nicht beabsichtigt war – mehr provozieren als ein etwas bescheidenerer Name. Oder wenn jemand ausdrücklich wegen des italienischen Flairs in eine Straße zieht, sich dafür auch noch öffentlich feiern lässt, dann aber den Charakter einer Straße dramatisch ändern will, dann ist das schwierig. Zum italienischen Flair gehört nicht Totenstille um 22 Uhr.

Ja, manchmal ist die Wortwahl entscheidend. Sie selbst haben „Wir sind Fürth“ in unserer Zeitung als „kleine, aber sehr radikale Gruppe“ bezeichnet. Ist es denn schon radikal, wenn man sich gegen eine Mehrheitsmeinung stellt?

Jung: Die Wirkung des Wortes radikal habe ich unterschätzt. Für mich ist das nichts Ehrenrühriges. Ich hatte Latein an der Schule, radikal kommt von radix, das ist die Wurzel. Radikal ist also jemand, der etwas grundsätzlich vertritt. Und das in diesem Fall kompromisslos. Damit habe ich in der Tat ein Problem, weil unsere Stadtgesellschaft nur mit Kompromissbereitschaft funktioniert. Bei der Bürgerinitiative „Bessere Mitte“, die Herr Hornstein geleitet hat, habe ich das als sehr angenehm empfunden. Da ging es nicht darum, etwas zu verhindern, sondern darum. etwas zu verbessern.

Wobei „Wir sind Fürth“ darauf pocht, den Einkaufsschwerpunkt keinesfalls verhindern zu wollen, sondern lediglich die alte Bausubstanz des Park-Hotels einbeziehen möchte.

Jung: Aber sie wissen genau, dass MIB, der einzige jetzt bereit stehende Investor, nur unter der Bedingung des Abrisses handelt. Da muss man ehrlich sein: Es wird nicht beides geben – alte Bausubstanz und Einkaufen. Ich merke ja am Zuspruch, dass viele Menschen das erkennen und sagen: Schön wäre es, alles zu haben, aber die Realität ist eben eine andere.

Stichwort Investor: Es werden immer wieder Stimmen laut, die klagen, die Stadt beuge sich zu schnell dem Willen von Firmen und zeige dabei zu wenig Selbstbewusstsein.

Jung: Als ich vor zehn Jahren kam, litt Fürth extrem darunter, dass es kaum Investitionen gab. Die letzten Jahre unter Lichtenberg waren durch die Grundig-Pleite geprägte Jahre des Niedergangs, es folgten mit der CSU sechs Jahre der Stagnation. Ich habe mich dann um städtische Investitionen bemüht, aber auch um private. Eine Stadt, in die nicht mehr investiert wird, ist tot.

Der CSU-Fraktionschef stellte unlängst in einer Debatte sinngemäß die Frage: Wie weit gehen wir, um Investoren zu bekommen?

Jung:
Man muss Grenzen setzen. Wir haben beispielsweise jahrelang die Investorenwünsche abgelehnt, das Kavierlein mit Einzelhandel zu bebauen, weil das der Innenstadt geschadet hätte. Es gibt Tabugegenden wie den Stadtwald, die Flusstäler. Deswegen wird es auch in Fürth kein uferloses Wachstum geben. Derzeit erleben wir eine große Nachfrage in Sachen Wohnungsbau, da können wir auch Investorenvorschläge ablehnen. Beim Einkaufen gebe ich gerne zu, dass wir nicht überrannt werden. Da muss man dann auch mal Bereitschaft zeigen, über Grenzen zu diskutieren.

Hand aufs Herz, ist es mit der absoluten Mehrheit der eigenen Partei im Rücken schwieriger, zuzuhören und andere Meinungen gelten zu lassen?

Jung: Ich konnte schon in meiner ersten Amtsperiode bei wichtigen Entscheidungen immer problemlos eine Mehrheit der Vernunft organisieren, darum bemühe ich mich noch genauso. Die wesentlichen Themen, die auch in der Diskussion stehen – wie der Lärmkonflikt um die Gustavstraße oder der Zuschlag für den Investor MIB, mit dem der Abriss des Parkhotels verbunden ist – werden von allen Fraktionen getragen.

Die Bevölkerung nimmt diese absolute Mehrheit oft anders wahr.

Jung: Die Bevölkerung misstraut absoluten Mehrheiten grundsätzlich, auf Landesebene hatte die CSU lange dieses Problem. Aber es gehört zum Wesen der Demokratie, dass eine Partei mehr Verantwortung zugeteilt bekommt als andere. Ob es gleich eine absolute Mehrheit sein muss, darüber hat der Wähler zu entscheiden. Jedenfalls hat es das nie zweimal hintereinander gegeben.

In Fürth, meinen Sie..?

Jung: Ja. Aber in meiner Wahrnehmung geht die SPD in Fürth sehr verantwortungsvoll damit um. In Augsburg hat man sofort nach dem CSU-Sieg alle SPD-Referenten entlassen. In Fürth sind alle Christsozialen weiter im Amt, weil sie gute Arbeit leisten. Das ist für mich verantwortungsvoller Umgang mit einer Mehrheit.

Sie haben in einem Gespräch mit unserer Redaktion kürzlich selbst gesagt: Wer viel leistet, der macht auch Fehler. Wo liegen denn Ihre Fehler?

Jung: Ein Fehler – da kommt jetzt vielleicht nicht jeder drauf – war der Abriss des Sprungturms im Freibad. Das habe ich unterschätzt. Im Nachhinein denke ich mir, wäre die Initiative zur Rettung früher gekommen, hätten wir vielleicht noch eingelenkt.

Und das ist tatsächlich der einzige Fehler, den Thomas Jung in elf Jahren Amtszeit als OB begangen hat?

Jung: Nein, aber das ist einer, der mir besonders leid tut, weil mich jede neue Freibadsaison wieder an ihn erinnert. Ich habe sicherlich auch andere Fehler gemacht, aber ich kann gerade keinen gravierenden nennen. Gut, meine Wortwahl ist manchmal wohl etwas zu leidenschaftlich geraten. Aber wenn mich jemand fragt, was ich heute ganz entscheidend anders machen würde, könnte ich jetzt außerdem tatsächlich nichts nennen.

Unterschätzt man als Entscheidungsträger bisweilen generell die Emotionen, die an bestimmten Themen oder auch an Bauwerken hängen?

Jung: Ich verstehe das, der Denkmalschutz ist ein hohes Gut. Dass das alte Gärhaus auf so unerfreuliche und unnötige Weise verschwinden musste, tut mir so weh wie vielen anderen.

Die SpVgg hat in den vergangenen Monaten wohl mehr als einen Fehler gemacht. Wie sehr leidet die Stadt mit dem Verein?

Jung: Wer den Schaden hat, braucht sich um den Spott nicht zu sorgen. Es schmerzt natürlich und ist ein großes Thema in der Stadt. Vor einem Jahr hatten wir dank der SpVgg eine wunderbare Außendarstellung von Fürth, jetzt ernten wir leider Mitleid und Häme, da gibt es nichts zu beschönigen. Aber auf der anderen Seite kann uns das Aufstiegserlebnis auch kein noch so schmerzhafter Abstieg mehr nehmen.

Laut einer aktuellen Umfrage verbinden bundesweit die meisten Menschen mit Fürth das Stichwort Fußball. Was würden Sie sich für die Zukunft darüber hinaus noch wünschen?

Jung: Dass die Stadt Fürth als Wissenschaftsstadt und als Ort weltbedeutender mittelständischer Unternehmen stärker wahrgenommen wird. Und dass sie weiterhin eine weltoffene Stadt zum Wohlfühlen bleibt.

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