«Dieser Ort ist aufgeladen mit Geschichten»

9.6.2008, 00:00 Uhr
«Dieser Ort ist aufgeladen mit Geschichten»

© Hans-Joachim Winckler

Er schläft. Hingestreckt auf einer bequem scheinenden Luftmatratze ruht der Mann, der unter «Bood & Donuts» firmiert, inmitten seiner Installation in einem Zimmer auf der einstigen Verwaltungsetage im ersten Stock des Bahnhofbaus. Die Ruhepause sei ihm gegönnt, schließlich war die Eröffnungsnacht lang. Besucher Hugo Walser (49) zuckt trotzdem zusammen, als sich das, was er «für eine Puppe» hielt, plötzlich regt und erwacht. Doch Walser, interessiert und begeistert («Eine tolle Sache, wir haben auch die containART schon abgelaufen»), steckt den Schreck gut weg. Ilona Koboth-Walser (52) macht klar: «Es ist toll, dass das hier kein Museum ist, genauso müsste es bleiben.»

Sehr wach und lebendig also, überraschend und garantiert nicht auf eingefahrenen Gleisen verharrend, sollte dann die Kunst-Zukunft dieser lange nicht genutzten Räume aussehen.

Wer in der Ankunftshalle den prägnanten grünen Zeichen folgt, gelangt ins Treppenhaus zum Gleis 0 und muss sich festlegen: «Sie können links beginnen oder rechts», bescheidet Sandra Blum, liebenswürdige Info-Kraft im grünen Aktions-T-Shirt, die Ankommenden und mutet dabei ein klein bisschen wie Ariadne vor dem Labyrinth an.

Nicht, dass man sich hier allzu weit verlaufen könnte. Wie Waben kleben die Büros aneinander und erzählen stumme Geschichten von übergelaufenen Kaffeemaschinen und Pannen beim Gießen der Topfpflanzen - die Spuren auf Teppich und Linoleum zeugen zumindest davon. Eine Ahnung von akuter Tristesse liegt über alldem. Doch Philip Orschler und Ladislav Zajac lassen den öden Nadelfilz in einem Winz-Büro aufblühen: Penibel eingeritzt ziert nun ein exaktes Muster aus verschlungenen Arabesken den verhärmten Bodenbelag. Plötzlich erwacht im Betrachter eine Flut belebender Assoziationen.

Ein Kunststück, das auch Alexander von Prümmer mit «Comaspace» mühelos gelingt. In klinischem Weiß erstrahlt der Raum, den er gestaltet hat. Darin rauscht und rattert es: Ausgediente Festplatten arbeiten vor sich hin. Versorgt mit dem notwendigen Strom, haben sie sich befreit von den sie einst umgebenden Computern und lästigen Nutzern. Sie lesen, werten aus, listen auf. Sinnfrei, klangvoll, vielsagend.

Von Prümmer hat gemeinsam mit Thorsten Schröger die Gleis-0-Organisation in relativ kurzer Zeit gestemmt. Eine Leistung, die sie beflügelt hat. «Dieser Ort ist aufgeladen mit Geschichten», sagt Alexander von Prümmer. Schröger - mit Prümmer kuratiert er auch die beiden Kunstvitrinen in den Hauptbahnhöfen Fürth und Nürnberg - muss grinsen beim Gedanken an die «Fundstücke», die ihnen in den ehemaligen Büros in die Hände fielen: «Alte Schuhe, Funkgeräte . . .» Schamvoll verschweigt er, was die Homepage (www.im-korridor.de) an weiteren Merkwürdigkeiten offenbart.

Seine Installation («das ende des korridor») scheint inspiriert zu sein von einigen dieser liegengebliebenen Artefakte und birgt zudem eine Hommage an einen Unvergessenen: «Großvater Beuys erklärt der toten Maus die Freundschaft» steht unter einem ziemlich gut mumifizierten Nager.

Äußerst lebendig geht es bei Anja Schoeller vom Urban Research Institute zu: «Chipping Putting Pitching» heißt ihr Golfprojekt, das mit Abschlagplatz und Auffangnetz Besucher tatsächlich zum Schläger greifen lässt. Helene Wolf (74), zum Beispiel, ist angetan. Aufmerksam geht sie die Räume durch, schaut, staunt und wundert sich: «Das ist toll, wo die alle die ganzen Ideen und die Sachen herhaben.»

Auch Christine Fuchs, Geschäftsführerin des Arbeitskreises für gemeinsame Kulturarbeit bayerischer Städte, ist nach Fürth gekommen, um containART und Gleis 0 zu begutachten. Die Fürther Aktion gehört zu den «Kunsträumen Bayern 2008», an der sich 67 Städte und Gemeinden beteiligen. Die Fachfrau lobt: «Was Fürth hier zeigt, ist gigantisch.»

Und sie wagt einen Vergleich: «Berlin hat die Berlinale, die hat natürlich Tradition, da strömen die Massen. Doch ich denke, das hier ist mindestens ähnlich sehenswert.» Besonders beeindruckend, so Fuchs, sei dass «in Fürth nicht das übliche Kunstpublikum» anreise, sondern ein sehr breiter Kreis von Besuchern angesprochen wird und frei von lähmender Schwellenangst Erfahrungen machen kann.

Claudia Floritz, Kulturamtschefin und Projektleiterin, denkt schon weiter: «Wir brauchen zeitgenössische Kunst in der Stadt, müssen eine gewisse Nachhaltigkeit erreichen, und wer dabei groß denkt, der darf doch hoffen, dass wenigstens ein Teil verwirklicht wird.» Die Idee, aus den Räumen des ungenutzten historischen Bahnhofgebäudes eine ständige Kunst-Station zu machen, liegt da zum Beispiel nahe. Ganz nahe.

Zwischen den Wolken

Und das nicht nur, weil sich hier so wunderbar unerwartete Zwischen-Räume finden, wie die beiden kleinen Gelasse an den beiden Enden des Ganges. Verwunschen liegen sie wie Alices Land hinter den Spiegeln und findig versteckt - wer kommt schon auf die Idee, den Zugang zu einem Speichergemach durch einen Wandschrank, in dem sich ein Waschbecken tarnt, zu suchen? Tobias Stark nannte seine Installation für einen dieser traumhaften Plätze poetisch «Zwischen den Wolken».

In eine ganz eigene Welt entführt auch die Arbeit von Daniela Huber und Yvonne Jakob. Vor einer Fototapete lassen sie raumgreifend einen Mikrokosmos entstehen. Zwischen großen Zeichnungen und kleinen, in den Setzkasten gepinnten Ausschneidearbeiten wachsen unsichtbare Beziehungen.

Bis zu zwei Stunden lassen sich manche Besucher von den Arbeiten gefangen nehmen. Andere verweilen nur kurz, schieben Kunstetappen zwischen Shopping-Anforderungen. Thomas Foerster, selbst erfahren als Ausstellungsmacher, hat sich vorgenommen, das große Ganze «peu à peu» zu erkunden, urteilt aber schon jetzt begeistert: «Diese Aktion ist auf jeden Fall eine Schau.» SABINE REMPE

Gleis 0 und Gleis 0 Café: Hauptbahnhof, 1. OG. Täglich 11 bis 20 Uhr, Eintritt frei. Bis 22. Juni.