Ein Ballett zum Gruseln

27.6.2016, 15:30 Uhr
Ein Ballett zum Gruseln

© Foto: Thomas Langer/Stadtheater Fürth

Einst schufteten im Filmklassiker „Metropolis“ Arbeiter an gigantischen Turbinen, verrichteten ein groteskes Ballett in einer Werkhalle und wanderten am Ende in den Moloch Maschine. Heute haben sich die Vorzeichen gewandelt, die Schwerindustrie ist der Digitalisierung gewichen.

Wummumm-Wummumm . . . und so weiter. Ein tiefes pulsierendes Synthesizerbrummen, dem Herzschlag ähnlich, eröffnet die Tanzperformance und begleitet sie die längste Zeit über. Man kennt dieses Geräusch aus Science-Fiction-Filmen, aus Laborthrillern wie „Andromeda“, wenn Typen im Astronautenanzug sich an Mikroskopen und Versuchstieren zu schaffen machen. Und tatsächlich interessiert sich in der Tanzperformance der Mensch für den Menschen. Nämlich als Studienobjekt, Versuchstier, Prototyp.

Zwischen Auf- und Abmarsch der in schwarzweißgrau uniform gekleideten androgynen Gestalten fummeln Forscher im weißen Laborkittel an Menschen herum, untersuchen sie von allen Seiten, zwingen ihnen unnatürliche Verrenkungen und Körperpositionen auf. An der Rückwand des Saturn-Gebäudes im Hof des Kulturforums flirren in Filmprojektionen ein graphisches Geflecht von Zahlen, Wolkenkratzerpanoramen bei Nacht, sowie U-Bahntunnel, in die die Menschen hineinzurennen scheinen.

Die Musik hierzu ist überaus rhythmisch, arbeitet neben synthetischen Klängen auch mit Perkussion und Klangschalen. Oder sorgt mit hohen Streichern für eisige Effekte.

Dazu regen eingeblendete Zitate von Galilei, Rilke und Camus zum Denken an. Diese kreisen um die Erforschung und Ausmessung der Welt, aber auch um die Betonung des Ichs, das sich der Einordnung und Normierung zu entziehen trachtet.

Einzelgänger und Querulanten

Und tatsächlich tauchen in der Masse, die mal als Schlange, mal als Block kreuz und quer defiliert, immer wieder Einzelgänger und Querulanten auf: eine Dame in rotem Chiffonkleid, eine Frau, die ihre langen roten Haare ausbreitet, dass die Präraffaeliten ihre helle Freude daran hätten. Oder eine Gestalt, die in schier endloser Bemühung über die Tische robbt, um ihren Weg zu gehen.

Gelegentlich tut sich in der Projektion der Stadtpanoramen ein Fenster auf, ein Stück blauer Himmel mit Wolken, ein Versprechen vom Paradies, das ein Paar zu betreten versucht. Einmal auch verwandelt sich die Fassade tatsächlich in eine Landschaft mit Baum, doch wirken die Farben derart kalt und synthetisch, dass sich die Frage stellt, ob das nicht eine Fata Morgana, die vollkommene Illusion von Freiheit sei, mit der die Mächtigen ihre Untergebenen einlullen.

Die Macht personifiziert sich in einem Mann, der unauffällig im Hintergrund agiert, sich in einem Drehsessel fläzt, selten eingreift, meist nur beobachtet. Nichts Dämonisches eignet diesem Mann, der die Kontrolle zu haben scheint – aber ist er am Ende nicht selbst nur ein Rädchen in einem Getriebe, das sich längst verselbständigt hat? Die Antwort bleibt dem Zuschauer überlassen.

Wie es aussieht, triumphiert die Ordnung über jede Individualität und alles Außenseitertum. Das aber bewirkt die Erstarrung, den vollkommenen Stillstand, die absolute Ordnung implodiert in sich selbst. Fürwahr, ein Gruselballett.

Keine Kommentare