Ein Leben nach der Quelle

15.5.2012, 21:57 Uhr
Ein Leben nach der Quelle

© Winckler

Katja Kramer klingt bestimmt: „Ich habe mein Leben trotz allem wiedergefunden.“ Die 37-Jährige steht im ihrem eigenen Laden „Fifty Styles“ in der Fußgängerzone, arbeitet freiberuflich als Einkäuferin – und blickt zuversichtlich in die Zukunft.

Zwei Jahre lang glich Katja Kramers Leben einer Achterbahnfahrt. Bei der Quelle hatte sie sich von der Auszubildenden im Groß- und Einzelhandel zur Produktmanagerin „Young Fashion“ hochgearbeitet, sie leitete eine Abteilung und hatte in drei Kündigungswellen zwölf von 20 Mitarbeitern entlassen müssen. Trotzdem glaubte sie nicht an ein Ende: „Ich hatte den Ehrgeiz, meinen Bereich wieder nach vorn zu bringen.“

Doch am 15. November war Schluss. Keine Abfindung, kein Geld, der Firmenwagen weg. „Ich war voll Wut und Hoffnungslosigkeit“, erinnert sich Katja Kramer. Doch sie nutzte die Arbeitslosigkeit, um sich fortzubilden – die Diplome als Visagistin, Typ-Stylistin, Farb- und Stilberatin schmücken die Wand – und bereitete ihre Selbstständigkeit vor. Mit zwei Kolleginnen eröffnete sie ein Modegeschäft in der Weißgerbergasse in Nürnberg. Doch der Laden lief nur im Sommer gut, die Freundinnen sprangen ab. Ende 2010 war Katja Kramer völlig mutlos. Wie weiter?

Sie kehrte in die Heimatstadt Fürth zurück, richtete sich in den ehemaligen Räumen von „Das Bad & Mehr“ ein und hat Mitarbeiterinnen („Ihr seid toll, Mädels!“) gefunden. Ihr Geschäftskonzept hat sie geändert: Statt 50 Stile zu kombinieren, spezialisiert sich „Fifty Styles“ auf große Größen bis 50. Katja Kramer hat sich einen freien Tag pro Woche vorgenommen. Sie sagt: „Es waren keine zwei einfachen Jahre. Aber es wird besser und die Spielvereinigung hat es schließlich auch geschafft.

Martin Helmreich ist bei der KüchenQuelle geblieben. „Am 20. November 2009 um 3.50 Uhr fiel die Entscheidung. Da war ich dabei!“ Seit der Ausgründung ist das Arbeitsfeld des 52-Jährigen sogar gewachsen, neben Berichtswesen und Datenlieferung hat er die IT-Leitung übernommen. Aber von den 240 Mitarbeitern des Küchenspezialisten mussten auch 100 gehen, nicht alle haben das gut verkraftet. Schicksale, die Martin Helmreich kennt und bedauert: „Wir haben wirklich Dusel gehabt.“

Seine Frau Claudia, die wie er aus einer „Quelle-Dynastie“ stammt, hat nach der Überbrückung in einem Mini-Job inzwischen eine Festanstellung bei Obi. Beide sind optimistische Menschen, die selbst in der Krise keinen Zweifel daran hatten, dass es weitergeht. Bei der KüchenQuelle geht es inzwischen aufwärts: 2011 hat das Unternehmen 870000 Euro Gewinn erzielt, 2012 sollen neue Küchenberater eingestellt werden – auf einige Stellen kommen alte Kollegen zurück.

Ein Leben nach der Quelle

© Pfeiffer



Im Januar hat Jutta Reck ihre dritte Stelle angetreten. Die Logistik-Spezialistin arbeitet nun bei Schaeffler-Technologies in Schweinfurt, von Banderbach aus sind das einfach 130 Kilometer. Trotz drei Stunden Autofahrt und Unklarheit über den künftigen Arbeitsort ist Jutta Reck froh. Nach der Quelle-Pleite war die Frau, die zuletzt stellvertretende Betriebsleiterin im Mode-Hängeversand in Herzogenaurach war, elf Monate lang arbeitslos und fiel in ein tiefes Loch. „Nach fast 30 Jahren auf null, nicht mehr gebraucht werden, das war schlimm.“ 150 Bewerbungen hatte sie geschrieben, bevor es bei einem Folienspezialisten klappte. Der kündigte nach fünf Monaten aus Kostengründen, es folgten sieben Monate als Sachbearbeiterin – auch nicht das Richtige. Diese Zeit hat die Mittvierzigerin als „großen sozialen Abstieg“ erlebt, sie fasst nun wieder Mut. Auch sie muss sich umstellen: Die Uhren in der Produktion ticken ganz anders als im Handel.



Musiker sein, mit Haut und Haar! Die Quelle-Pleite erfüllte Stefan Kugler einen alten Traum. Der Teamleiter aus der „Diktatkorrespondenz“ – hier wurden Briefe und juristische Schreiben formuliert – hatte schon zuvor in verschiedenen Bands Gitarre und Bass gespielt und Touren für andere Musiker organisiert. Ausgerechnet während seiner Existenzgründung zerschlugen sich zwei Projekte. Zwar hatte „Kugie“ Auftritte sogar in Norwegen und Afghanistan, doch unterm Strich blieb nicht genug. „Es war klar, Rockstar werd’ ich nicht mehr und Tanzmusik mache ich nicht“, sagt der 44-Jährige. Was tun? Er schrieb eine einzige Bewerbung und arbeitet seit November 2011 bei Thomann in Treppendorf. „Von Europas größtem Versandhaus zu Europas größtem Musikversender“, sagt Stefan Kugler und lächelt. Der Weg dorthin ist lang, aber die Teilzeitstelle lässt ihm noch Raum für die Musik und die Briten Paul Rose und Jon Gomm, deren Auftritte in Deutschland er managt.

An einen eigenen erinnert sich Stefan Kugler noch genau. Er gehörte zu den Quelle-Mitarbeitern, die im Stadttheater auf der Bühne standen: „Wenn schon einen Schlusspunkt, dann einen richtigen. Das war Emotion pur!“

Gerade hat er die Einladung zum jährlichen Grillfest seiner früheren Abteilung aus dem Briefkasten gezogen — natürlich geht Stefan Kugler hin.

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