Ein Quantum Zufall

30.1.2016, 15:30 Uhr
Ein Quantum Zufall

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Wer seinen Augen nicht traut, ist gut beraten. Denn was erkennen wir schon? Eine junge Frau, so viel wenigstens scheint sicher bei der Aufnahme im dynamischen Hochformat. Ihre Haut schimmert magisch und verblendet doch unversehens mit einer undefinierbaren Textur, die sich wie ein Spitzenschleier über alles zu legen vermag. Beinahe urzeitlich wirkt dagegen in einer anderen Arbeit ein Hai, der anmutet, als sei er vor Jahrtausenden schon zum Fossil im Schiefer erstarrt.

Michael Zirns Bildwerke lassen sich nicht auf den ersten Blick decodieren. Schwer fassbar sind sie zunächst nicht nur, weil sie ihrem Betrachter kein augenfälliges Motiv entgegenhalten. Ebenso wenig enthüllen sie auf Anhieb das Geheimnis ihrer Entstehung. Zirn beschreibt den Erstkontakt mit einer seiner Arbeiten so: „Sehen, träumen, erkennen, anderes sehen, träumen.“

Der Mann, der 1954 in Freiburg zur Welt kam, 1984 in Nürnberg als selbstständiger Fotograf begann und 1989 sein Studio in Wassermungenau gründete, hat seinen beruflichen Schwerpunkt auf die Werbefotografie gelegt. Wendet er sich dem künstlerischen Ausdruck zu, ist eine Art von technischer Kehrtwende angesagt. Es geht von der digitalen Fotografie mitsamt ihren Möglichkeiten, größtmöglichen Einfluss zu nehmen, zurück in die Dunkelkammer – die gerne auch einmal riesig ausfallen darf.

2012 hat er auf der Architektur-Biennale in Venedig den Schweizer Pavillon mit einem knapp 300 Quadratmeter großen Panoramabild gestaltet. Die lichtempfindliche Fotoemulsion wurde dafür direkt auf den Putz aufgetragen und der komplette Raum zu einer überdimensionalen Dunkelkammer gemacht. Das Ergebnis? Noch nie dagewesen und faszinierend.

In Thomas und Kerstin Foersters Foerstermühle sind die Formate kleiner. Diesmal hat Zirn die Fotoemulsion auf Metallplatten aufgetragen, denen er zuvor eine Spezialbehandlung angedeihen ließ. Rost darf zum Beispiel gezielt seine Wirkung entfalten. Bevorzugt verätzt er die Platten aber auch mit verdünnter Salzsäure. Die Spuren des Salzes, das sich bei diesem Vorgang bildet, werden zu Zeichen, die später Einfluss auf das Fotomotiv nehmen, das in einem der nächsten Arbeitsschritte dann wiederum in der Dunkelkammer Gestalt annimmt. Dazu setzt Zirn immer wieder einmal dekorative Motive ein, die wie Spitze oder Tapetenmuster erscheinen und von ihm, wie er es nennt, „aufgestempelt“ werden.

Es sind multiple Prozesse, die jedes seiner Bilder durchläuft. Im Verlauf dieses Vorgangs wird es zunehmend schwieriger, seine Arbeit einzuordnen. Den Bereich der reinen Fotokunst verlässt Zirn spätestens dann, wenn er seine Untergründe gestaltet. Damit kommt ein fast malerisches Element hinzu, das sich in der ausdrücklichen Farbgestaltung fortsetzt.

Stets geht es auf jeden Fall um ein Wechselspiel aus Planung und Experiment. „Ein Quantum Zufall ist immer dabei“, sagt der Künstler und gesteht, dass er freilich nicht bereit ist, die Dinge so zu nehmen, wie sie entstehen: „Wenn mir etwas in einem Arbeitsschritt nicht zusagt, tue ich das Ganze weg.“ Was nun den Weg in die Foerstermühle gefunden hat, bespielt konsequent zwei Leitmotive: „Frauen. Und Tiere.“

Gemeinsam ist ihnen allen der packende Momente, in dem die fotografischen Anteile eines jeden Bildes ihre Deutungshoheit über das, was scheinbar real ist, abgeben. Das ist der Augenblick, der alles möglich werden lässt und die hintergründigen Gestalten der Zirn’schen Arbeiten ihr Eigenleben beginnen. Wohin das führt? Kann man nicht sagen. Muss man sehen.

„al dente“: Vernissage heute, 19 Uhr, Galerie in der Foerstermühle (Würzburger Straße 3). Montags bis donnerstags 9-17 Uhr, freitags 9-14 Uhr. Bis 31. März.

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