«Ein Stück Fürth geht verloren«

21.10.2009, 00:00 Uhr
«Ein Stück Fürth geht verloren«

© Scherer

«Das ist eine Frechheit«, schimpft Margareta Lödel. Ihre Tochter hat bei Quelle gelernt, die Enkelin 20 Jahre dort gearbeitet. Nun wurde sie entlassen. Und die 77-Jährige Margareta Lödel muss sich aufregen. Dabei hat sie früher alles bei Quelle gekauft und «war sehr zufrieden«. Sie wiegt den Kopf: «Dass das so gekommen ist...«.

Fürth ohne Quelle? «Das ist einfach sch...« Hans Kauppert nimmt kein Blatt vor den Mund. Grundig, AEG und jetzt eben auch die Quelle. «Die Konzerne werden immer größer. Dann haut man das Ganze kaputt, die Manager kriegen Millionen Abfindungen und die anderen liegen auf der Straße«, sagt der 78-Jährige. Ein übles, wenn auch bekanntes Muster. Er selbst hat fast 50 Jahre für Brauereien gearbeitet. Zuerst für Grüner, die 1972 von Patrizier Bräu (Schickedanz) übernommen wurde. Bis zur endgültigen Schließung wenig später.

Noch verwirrend

«Ich bin erstmal geschockt, dass so etwas passiert«, sagt eine Angestellte von Foto-Quelle. Zwar ist das 100-prozentige Tochterunternehmen selbst insolvent und erst Mitte November sollen die Mitarbeiter erfahren, wie es weiter geht. Aber wenigstens die Mutter, das Kataloggeschäft, hätte doch fortgeführt werden sollen.

Doch es fand sich kein Käufer. Wer, was, wie - es ist noch verwirrend. «Die Geschäfte werden weitergehen, das kann ja nicht sein«, redet sich Luigi Barbante gut zu. Gerade ist doch erst der Katalog mit Hilfe von Millionen-Krediten gedruckt worden und das Weihnachtsgeschäft steht bevor. Aber wenn die Quelle wirklich dicht macht, sieht auch der Konditor magere Zeiten auf sich zukommen. Er rechnet mit 20 bis 30 Prozent Einbruch, wenn die Quelle-Beschäftigten sich nicht mehr früh und Mittag mit den Semmeln und Torte versorgen, die an der Ecke von Jakobinenstraße und Hornschuchpromenade gebacken werden.

Ähnlich geht es Domenico Schepis, der mit seinem italienischen Feinkosthandel in der Nürnberger Straße auch von hungrigen Quelle-Mitarbeitern lebt. Den Anteil schätzt er auf fünf Prozent, das wäre zu verschmerzen. Aber «die Quelle fehlt nicht nur mir, die fehlt allen«: Wer arbeitslos wird, verzichtet nicht nur auf Parmaschinken und Oliven, der kauft auch keine Schuhe und keine Möbel. Schepis sieht den Untergang des Versandhauses als gesellschaftliches Zeichen. Die Großen werden immer reicher, die kleinen Leute ärmer. «Das wird wie in Argentinien«, prophezeit er.

Selbst wenn nicht: Die Angst geht um. «Ich weiß von einer Arbeitskollegin, da ist der Mann bei Quelle und grad 50«, sagt Dorothea Moisa. Ob er wieder was findet? Die Aussichten sind wohl trüb, sagt die medizinisch-technische-Assistentin: «Ich weiß, dass sie Existenzängste haben.« Sie arbeitet heute in dem Gebäude, in dem früher «die Quelle« - sprich das beliebte Kaufhaus - war. «Das war früher ein Laden, wo auch Menschen mit wenig Geld kaufen konnten.«

Möglicherweise hat ihnen die Seniorin die Ware gereicht, die 15 Jahre im Verkauf gearbeitet hat und nun nicht mit Namen in der Zeitung stehen will. Nach der Übernahme des durch Hertie ist sie damals gegangen, mit Abfindung. «Für mich war’s in Ordnung.« Dass nun aber der frühere Arbeitgeber von der Bildfläche verschwindet, tue «einem im Ganzen schon leid«. Helene Türk klagt sogar: «Es tut sehr weh.« Vor 31 Jahren kam sie nach Fürth und «seit ich mich erinnern kann, hat es die Quelle hier gegeben«. 1979 hatte sie selbst für einige Zeit im Versand gearbeitet, ihr Mann Emil war sogar 30 Jahre lang im Archiv beschäftigt. Seit Januar ist der 65-Jährige in Rente - und froh, dass ihm die Kündigung erspart blieb.

Jüngere Fürther geben sich gelassen. Es kommt wie es kommt, sagt Silvana Wieland (18). Auswärtige wie Franz Hartel und Sven Veeck, die einen Laden in der Fußgängerzone analysieren die politische Seite. Hätte die Staatsregierung nur nicht so viel Geld in ein marodes Unternehmen gesteckt, sagen sie. Auch von Misswirtschaft ist die Rede. Genau weiß man es nicht.

Mäzene und Förderer

Aber eins weiß Gerhard Kastl, Leiter der Gustav-Schickedanz-Schule am Finkenschlag genau: «Mit diesem Unternehmen verliert die Stadt Mäzene und Förderer, auf vielen Ebenen.« In den vergangenen Jahren hatte Madeleine Schickedanz die Hauptschule immer wieder finanziell unterstützt und hatte auch die Küche der Mensa eingerichtet. Wenn er es recht bedenke, sagt Kastl, der seit 35 Jahren hier lebt, «kann ich mir Fürth ohne Quelle nicht vorstellen, es geht ein Stück Fürth verloren«.

Im BRK-Altenheim Grete-Schickedanz wird das Aus vom Personal diskutiert, die alten und kranken Bewohner interessieren diese Probleme wohl nicht mehr. Als Verbindung bleibt der Name bestehen und die Stiftung zugunsten des Altenheims an der Friedrich-Ebert-Straße. Dass der Einschnitt kommen würde, sagt Pflegedienstleiterin Cornelia Rohm, hatten die Mitarbeiter schon geahnt: Im vergangenen Jahr blieben die gewohnten Gutscheine zu Weihnachten aus. «Leid um die Leute tut es einem doch.«

«Aber was kann man tun?, fragt Margareta Lödel, zieht an ihrer Zigarette und blickt in die Ferne. «Wir ändern doch nichts.«