Eine Unerschrockene im Land der Patriarchen

13.6.2017, 16:00 Uhr
Eine Unerschrockene im Land der Patriarchen

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Bei Heimspielen steht die Polizei vorm Haus. So ist das nun mal, weil nicht jeder Fußballfan seine gute Kinderstube mit ins Stadion nimmt. "Ach, das sind alles ganz manierliche Leute", sagt Ursula Schernig. Und bitte: So beschaulich ist es hier, in Ronhof, "so ruhig und entspannt. Vor 20 Jahren hätte ich hier nicht leben wollen. Aber inzwischen muss ich sagen: Die Atmosphäre ist gut, man kommt überall schnell hin, wenn man will." Und es stimmt ja, der Leser von Schernigs "Kunst am Nil" ist noch nicht bei Seite 5 angelangt und kann sich doch schon bildhaft vorstellen, was er eh ahnte. Dass nämlich Fürth-Ronhof ein Kindergeburtstag ist gegen diese Mega-Metropole, die dich erschlägt, auffrisst, zu Tode erschöpft — und von der zu lassen doch so unendlich schwer fällt. Kairo.

"Wir tendierten Richtung arabische Welt. Die Araber haben ganz tiefe Gefühle." Ursula Schernig hat ein Unruhe-Gen, einen Ich-will-die-Welt-sehen-Jipper, keine Lust auf Langeweile. Schon als Kind tickte sie so, sagt sie. In Bamberg geboren, war sie mit ihrem Mann Gerhard, der an deutschen Schulen im Ausland unterrichtete und der Widmungsträger des Buches ist, 1971 nach Fürth gekommen. Fürth wurde zum Heimathafen, die hohen Wellen schlugen anderswo. Den Haag war eine der Stationen, an die es das junge Paar verschlug. Die Begegnung mit den Schätzen im Amsterdamer Stedelijk Museum wird für die Studienrätin und studierte Germanistin — drei Jahre lehrte sie am Nürnberger Melanchthon-Gymnasium — zum Wende-Erlebnis, eine lebenslange Liebe zur Kunst nimmt ihren Lauf.

Und dann kommt die große Chance. Ein Stellenangebot für Gerhard. Kairo. 1981.

Die Koffer der Schernigs sind noch nicht ausgepackt, als Präsident Anwar as–Sadat bei der Militärparade zu den 6.-Oktober-Feiern den Kugeln junger Offiziere zum Opfer fällt. Ursula Schernig wird eine ganze Epoche hautnah miterleben, eine von vielen wahnwitzigen Epochen in einem wahnwitzig komplizierten Land. Husni Mubarak folgt Sadat und herrscht über Ägypten bis 2011. 2011 bricht auch die wagemutige Fürtherin ihre Zelte in der Hauptstadt ab.

Über jene 30 Jahre am Nil zieht sie auf 360 Seiten Bilanz. Sie tut es vollkommen uneitel, ohne Pirouetten und dicke Hose — stattdessen ist "Kunst am Nil" nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch zu einem Werk geworden, an dem sich mancher Korrespondent, mancher Profi der schreibenden Zunft messen lassen muss. Eine Kennerin dieses Landes und eine warmherzige Menschenfreundin hat sich da ans Werk gemacht, an ein Werk, das einen großen Verlag mit schlagkräftiger Werbeabteilung verdient hätte. "Die Leser sollen Lust auf Ägypten und die Ägypter bekommen, frei von Klischees und Vorurteilen", sagt Ursula Schernig, die das Buch binnen vier Jahren in Fürth und bei Verwandten am Starnberger See niederschrieb. "Ich hatte das Gefühl, ich muss frei werden auf der Schulter. Ich war sehr erleichtert, als es fertig war."

Schikanen der Bürokratie

Ein Treppensturz am Neujahrstag 2016 zwingt sie in den Rollstuhl, mit Tochter Simone und Enkelin Sofie-Nasrin bewältigt die Witwe den Ronhofer Alltag in einem Drei-FrauenHaushalt. "Wir halten fest zusammen, es ist wunderbar." Mut, Zuversicht und der Glaube, das Richtige zu tun sind Schernigs Grundpfeiler, auf denen auch ihre ägyptischen Jahre fußen. Man stelle sich das vor, eine ausländische Frau stellt die erste Privatgalerie des streng patriarchalisch geprägten Landes auf die Beine. Unter Nasser, der bis 1970 regierte, gab es Galerien und kommunistische Kulturinstitute, danach aber "hat sich kein Mensch mehr um Kunst gekümmert". Und dann kam Schernig. Wer liest, mit welcher Zähigkeit sie der Bürokratie ("Viele haben mich gehasst wie die Pest") die Stirn bietet, fühlt sich an Karen Blixen erinnert. Sie hatte eine Farm in Afrika.

Schernig hatte eine Galerie in Kairo. Und: "Ich hatte Glück. Ich fühlte mich vollkommen sicher, bin durch die Gassen gelaufen und wusste, wie ich die Leute, vor allem die einfachen Leute, ansprechen musste. Und ich hatte Fürsprecher in wichtigen Positionen." Ein Gönner, der "aussah wie eine fahle Katze", öffnet Schernig die Türen, nachdem sie zuvor für das Goethe-Institut Ausstellungen konzipierte. An einem Septemberabend 1985 eröffnet die Mashrabia-Galerie.

Die zeitgenössische Kunst Ägyptens, sudanesische und koptische Kunst werden Schernigs Steckenpferde. Auch die Fürther profitieren davon, in den Neunzigern öffnet die Umtriebige stets in den Sommerferien ihre Galerie "Kunst des Niltals", Kooperationen mit John Hammonds Art-Agency und der kunst galerie fürth ("Miksch macht das ganz toll, die Fürther müssen glücklich sein") folgen. Künstler, die unter ihren Fittichen klein anfingen, sind groß herausgekommen. Hassan El Shark, ein Fellache, der einst zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel hatte, wird heute in die USA und nach China eingeladen. Ein Beispiel von vielen.

Die Kunst von "Kunst am Nil": Schernig hält mehrere Fäden souverän zusammen. Wer etwas erfahren will über die Kairoer Kreativszene jener Zeit, ist hier ebenso richtig wie der politisch interessierte Leser, der es mit Blick auf die Mubarak-Jahre und auf die Zeit unter den Muslimbrüdern mit einer meinungsfreudigen, auch die Politik des Westens nicht schonenden Autorin zu tun bekommt. Gut versorgt wird aber auch, wer auf Alltags-Anekdoten mit amüsanter Grundierung spechtet. Man sitzt tatsächlich auf dem Beifahrersitz des Mini-Fiat, wenn Schernig sich erstmals ans Steuer hockt, um durch den Kairoer Berufsverkehr zu brausen. Angst? Ach was. "Die fahren alle viel weniger aggressiv als in Deutschland."

Das Licht der Wüste

Unfassbar auch, was sich zuträgt, wenn dich "der Fluch des Pharao" erwischt hat. "Aber ich hatte niemals Gelbsucht", sagt sie. Auch der andere, noch schlimmere Fluch hat ihr nichts anhaben können. "Man hat mich mehrfach zu bestechen versucht, es gibt Hunderte von Schikane-Möglichkeiten in Ägypten. Aber ich war nie korrupt und habe nie Korruption versucht." Das Thema vertiefen mag sie indessen nicht.

Als der Sohn des Eigentümers Pläne hat, die Kunst-Räumlichkeiten in ein Fitnessstudio umzuwandeln, enden Schernigs sieben Galerie-Jahre am Nil. Sie kommt wieder häufiger nach Fürth, doch erst 2011 kehrt sie dem Land endgültig den Rücken. Diesem Land, "das man auch dann nicht völlig versteht, wenn man länger dort gelebt hat", zuletzt lebte sie in einer Kommune neben dem Tahrir-Platz. "Das Militär und der Geheimdienst sind die Machtfaktoren." Abd al-Fattah as-Sisi, der aktuelle Potentat und Oberbefehlshaber der Streitkräfte, habe "fürchterliche Verhältnisse" geschaffen, "meine Kontakte trauen sich kaum zu reden. Man konnte dieses Volk immer einschüchtern. Aber innerlich sind die Ägypter voller Revolte. Vor allem die Frauen in den Städten." Nein, eine Rückkehr, auch nur besuchshalber, kann Ursula Schernig anno 2017 ausschließen. Das hat nicht nur mit der Gesundheit zu tun. "Früher war ich furchtlos, heute bin ich es nicht mehr."

So vieles, was sie vermisst. Die Beduinen und ihre Lebenslust. Das indirekte Licht in der Wüste. Das Essen, "ganz wichtig, um eine Beziehung entstehen zu lassen". Kein Alkohol, viel Hasch, "das gehört dazu". Die Bedächtigkeit der Menschen, die sich am Ende des Tages Stunden der inneren Sammlung gönnen. Sie reden nicht miteinander, sitzen da, eine unvergleichliche Atmosphäre.

Für zwei weitere Bände, sagt Ursula Schernig, gäbe es noch Stoff. Man vernimmt es mit Vorfreude.

"Kunst am Nil - Als deutsche Galeristin in Ägypten", M.G.Schmitz-Verlag Nordstrand, ISBN 978-3-944854-30-4, 22 Euro.

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