Ernster Hintergrund: Das Musical "Mademoiselle Marie"

18.7.2015, 05:56 Uhr
Eine Szene aus dem Musical Mademoiselle Marie der Cadolzburger Burgfestspiele.

© Michael Müller Eine Szene aus dem Musical Mademoiselle Marie der Cadolzburger Burgfestspiele.

Ein Musical drängt sich mir bei diesen Themen ja eigentlich nicht auf“. So wird Landrat Matthias Dießl bei der Uraufführung des Stücks im Juni zitiert. In der Tat: Stichworte wie Massaker, Kriegsgefangenschaft und Aufbaujahre lassen eher an ein Drama denken. Aber dann ist da auch eine Liebesgeschichte, die als Symbol für die geglückte Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich verstanden werden kann. Und mit großer Feinfühligkeit und fränkischer Leichtigkeit gelingt der schwierige Spagat zwischen Aufklärung und Unterhaltung.

Im Zentrum der so beschwingten wie berührenden Geschichte steht Marie. Während der Ehemann der jungen Bäuerin sich 1955 noch in russischer Kriegsgefangenschaft befindet, freundet sie sich mit François an, ein ehemaliger Zwangsarbeiter aus Frankreich. Der junge Mann war nach dem Krieg in Franken geblieben und hilft Marie auf dem Hof. Gemeinsam wollen sie seine Heimat in der Nähe von Oradour-sur-Glane besuchen. Dort wird „Mademoiselle Marie“ mit Eiseskälte empfangen.

Oradour ist bis heute ein Inbegriff für deutsche Gräueltaten während des Zweiten Weltkriegs. Die Waffen-SS hatte in dem französischen Dorf ein Massaker angerichtet und 642 Menschen grausam umgebracht. Das Kriegsverbrechen belastete lange Zeit auch die Annäherung zwischen Mittelfranken und dem Limousin, wo Oradour liegt. Heute gibt es längst auch zahlreiche kommunale Partnerschaften unter dem Dach der regionalen Jumelage, etwa zwischen Cadolzburg und Le-Palais-sur-Vienne seit dem Jahr 2003.

"Viele Menschen waren befremdet"

Im Limousin kam das Projekt „Mademoiselle Marie“ gar nicht gut an. Es gab — höflich ausgedrückt — einige Irritationen. „Viele Menschen waren befremdet, weil es nicht in ihre Vorstellung passte, über den Ort des Massakers ein Musiktheater mit Tanz und Gesang zu machen“, sagt Fritz Stiegler, Autor des Stücks und der Liedtexte. Um die Wogen in Frankreich zu glätten, reiste eine Delegation aus Vertretern der Gemeinde und der Burgfestspiele nach Oradour. Die Cadolzburger wollten verständlich machen, dass ein Musical für Erheiterung und gute Laune sorgt, aber mit einem ernsten Stoff gleichzeitig Betroffenheit und Nachdenklichkeit erzeugen kann.

Zur französischen Gruppe gehört neben den Bürgermeistern von Oradour und Palais-sur-Vienne auch Robert Hébras (90). Er ist einer von sechs Überlebenden und der letzte Zeitzeuge des SS-Massakers von 1944. Im Herbst 2013 kam es zu einer bewegenden Geste der Versöhnung, als sich Hébras mit dem französischen Präsidenten François Hollande und Bundespräsident Joachim Gauck bei einer Gedenkfeier in den Steinruinen des Dorfes spontan umarmten.

Vorfreude und gespannte Erwartung prägten das Stimmungsbild unter den französischen Gästen. „Ich bin sehr neugierig auf die Umsetzung des nicht einfachen Stoffs“, sagte der Bürgermeister von Oradour, Philippe Lacroix. Gegen die Verwendung des Musiktheaters als Stilmittel sei nichts einzuwenden, „wenn Oradour als Gedenkort respektiert wird“.
Die meisten Musicals seien sehr oberflächlich, „aber wir haben einen Stoff mit Tiefgang. Ich glaube, dass uns der Spagat geglückt ist“, meinte Komponist Matthias Lange. Dieser Überzeugung ist auch Fritz Stiegler, der in das Stück auch einen Teil seiner Familiengeschichte eingearbeitet hat: Während des Kriegs war auf dem Hof in Gonnersdorf ein französischer Zwangsarbeiter beschäftigt.

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