"Es ist ein Trugschluss, Silicon Valley kopieren zu müssen"

17.9.2017, 21:00 Uhr

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Stattliche 1500 Quadratmeter sind die neuen Räume von Silbury in den Malzböden groß – und Markus Neubauer hat dafür Pläne über Pläne, wie er bei einem Rundgang durch das Haus in der Südstadt erklärt. Im Erdgeschoss soll unter anderem ein "Future Lab" entstehen, in dem Mitarbeiter wie Gäste mit Entwicklungen wie Robotik, Sensorik, Künstlicher Intelligenz (KI), Drohnen und 3 D-Druck experimentieren können. "Das wird eine Art Inkubator und könnte auch Ziel für Unternehmensausflüge sein", skizziert Silbury-Marketingleiter Harald Fraunholz.

"Wir verstehen Digitalisierung nicht als eine Technologie, sondern als eine Fülle von Möglichkeiten und Technologien, deren Kombination und Interaktion wir untersuchen wollen", erläutert Neubauer. "Vom Silicon Valley geht ein wahnsinniger Innovationsdruck aus. Aber es ist ein großer Trugschluss, dass wir meinen, es kopieren zu können oder zu müssen." Schon allein die geringere finanzielle Ausstattung Europas mache dies unmöglich. Hinzu kämen eine andere Arbeitsumgebung, Mentalität und Verfügbarkeit von Personal in den USA, zählt der Unternehmer auf.

Statt also zu versuchen, die Vereinigten Staaten mit ihrer mitunter sinnfreien "Technikverliebtheit" zu kopieren, sollten sich hiesige Unternehmen lieber auf ihre Stärken und eigene Kreativität besinnen. "Wir können dem digitalen Wandel eine soziale Komponente geben", sagt Neubauer. "In dieser Hinsicht ist Europa den USA, Indien und China weit voraus."

Der Rundgang bei Silbury führt durch das repräsentative Entree mit dem dunklen Empfangstresen, in dem eine kleine Küche untergebracht ist. Dort steht die einzige Kaffeemaschine des Gebäudes – auch wenn die Hauptarbeitsfläche im zweiten Stock ist. "Die Idee dahinter ist, dass die Leute hier unten zusammenkommen", erklärt Neubauer, der eine "andere Form der Unternehmenskultur" etablieren will.

Menschen unterschiedlicher Couleur zusammenzubringen, sei auch der Hintergedanke beim ebenfalls im Erdgeschoss geplanten "Coworking Space" im Bereich der sanierten, denkmalgeschützten Räume des ehemaligen Brauereichefs: Dort sollen sich ab Ende des Jahres Menschen, die andernorts einen festen Arbeitsplatz haben, für ein, zwei Wochen einquartieren können. So könnten sie sich mit anderen innovativen Köpfen, etwa aus der Biotech-, Medizin- oder IT-Branche und den derzeit 55 Silbury-Mitarbeitern in Fürth vernetzen.

Agile Entwicklung

Das Kerngeschäft von Silbury sei in wenigen Worten schwer zu umreißen. "Wir machen vor allem agile Software-Entwicklung", sagt Unternehmenschef Neubauer. Dadurch und durch automatisierte Prozesse sei eine stete Fortschrittskontrolle möglich; Zeitverluste und ein Aneinandervorbeireden von Entwickler und Kunde würden vermieden. "Dementsprechend haben wir nicht mehr die üblichen drei bis vier Releases im Jahr", resümiert der Enddreißiger.

Zu Silburys Kunden zählen so namhafte Unternehmen wie Siemens Healthineers, Bosch, Daimler, der französische Satellitenbetreiber Eutelsat, Organisationen der Vereinten Nationen, die Schweizer Post sowie die größte Kranken- und Unfallversicherung der Schweiz, die Helsana Insurance Group. Für diese hat der Fürther Mittelständler einen neuen Webauftritt konzipiert, ebenso wie für die Bundesagentur für Arbeit und für das Statistische Bundesamt der Republik Österreich. "Wir arbeiten für Kunden, bei denen Sicherheit und Datenschutz eine enorm große Rolle spielen", so Neubauer. "Wenn Sie sich da einen oder zwei Fehler erlauben, sind Sie weg vom Fenster."

Trotzdem oder gerade deswegen lässt der Unternehmer seinen Mitarbeitern viel Freiraum und geht gern ungewöhnliche Wege, zu denen beispielsweise fünfmal im Jahr sogenannte Unkonferenzen (Barcamps) zählen. Das sind Treffen mit offenen Workshops, deren Inhalte und Ablauf von den Teilnehmern zu Beginn selbst entwickelt und im weiteren Verlauf gestaltet werden. So sei in einer Gruppe das nötige Grillequipment für die 100 Quadratmeter große Dachterrasse festgelegt worden, berichtet Neubauer, während sich andere Teilnehmer auf eine fiktive Zeitreise begaben und wieder andere interessante Projektergebnisse teilten. "Jeder kann vorschlagen, worüber er sprechen will", betont Neubauer. "Das Spannende dabei ist, dass man die Leute in einem anderen Kontext erlebt und zum Beispiel sonst eher ruhige Mitarbeiter plötzlich aus sich herausgehen."

Walks & Talks

Das kann auch bei den "1:1 Walks & Talks" passieren, die ebenfalls fester Bestandteil der Unternehmenskultur sind. Dabei gehen jeweils zwei Silbury-Mitarbeiter für eine halbe Stunde miteinander im nahen Wiesengrund spazieren. "Man kann außerhalb des Bürogebäudes mal ins Gespräch kommen, auch über andere Themen", sagt eine Mitarbeiterin. Und Neubauer stellt fest: "Man glaubt es nicht, aber die meisten Ideen, die wir hier entwickelt haben, sind 1:1 entstanden."

Auch wenn manche hinter Silbury wegen des Namens einen amerikanischen Investor vermuten, handelt es sich doch um ein rein fränkisches Startup, das im Oktober 2007 mit gerade mal zwei Personen — Neubauer und seinem Partner Thomas Feldmeier — loslegte. Heute zählt die Firma insgesamt 75 Mitarbeiter in Deutschland, der Schweiz und Indien.

Der Name ist von Silbury Hill inspiriert, dem größten menschengemachten, prähistorischen Hügel in Europa. "Uns gefiel die Idee, dass viele Menschen zusammen etwas Großes schaffen", sagt Neubauer, der seit kurzem auch Sprecher der Fachgruppe Digitalisierung innerhalb des Mittelstandsausschusses des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) ist.

In dieser Funktion will der Fürther die Anliegen des Mittelstands in Sachen digitaler Wandel an die Bundesregierung und die EU herantragen. Das Ziel dabei soll sein, "dass es uns als Menschen hinterher besser geht und nicht, dass wir Sklave der Technik werden".

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