Es war einmal: Die Schmalzbrotbande von Keidenzell

6.5.2017, 10:00 Uhr
Es war einmal: Die Schmalzbrotbande von Keidenzell

© Foto: privat

"Hier ist es gewesen, ich seh' alles noch wie heut‘", sagt Ernst Michael Pickert und zeigt auf das Gebäude, vermeintlich eindeutig eine Kirche, mit Turm und Schiff. Es steht in Keidenzell, direkt an der Abzweigung nach Deberndorf. "Hier sind wir alle in die Zwergschule gegangen, zu unserem Lehrer Gustav Werner. Er hat acht Altersstufen in einer Klasse unterrichtet. Und aus allen von uns ist was geworden", vermerkt Pickert, der die regelmäßigen Klassentreffen organisiert, mit Stolz.

Im ersten Stock dieses wunderlichen Hauses, das Kirche, aber eben auch Schulgebäude war, wurde unterrichtet. Der Weg von den umliegenden Gemeinden nach Keidenzell ging zu Fuß durch die Wälder. Ein Fahrrad hatte praktisch niemand, und wer "nach Langenzenn wollte, musste mit dem Milchwagenfahrer etwas ausmachen", erinnert sich Pickert.

Es war einmal: Die Schmalzbrotbande von Keidenzell

Hinterm Gebäude kann man heute noch die Wiese sehen, die als Schulhof diente. Das Nachbarhaus, wo die Landwirtsfamilie Rießbeck wohnte, deren Sohn Willi – eines von elf Rießbeck-Kindern – ebenfalls Zwergschulgänger war, ist in besonders guter Erinnerung geblieben. "Hier, an diesem Fenster", deutet Pickert auf eine rückseitige Hausöffnung, "hat sich der Willi in der Pause immer ein Schmalzbrot abgeholt." Die Mama war von der großherzigen Art, sie hatte nichts dagegen, wenn Freunde Schlange standen und ein paar Brote mehr übers Fensterbrett gingen.

Einige Meter vom Kirch-Schulhaus entfernt wohnte Gustav Werner in seinem Lehrer-Anwesen. Dorthin hat er immer wieder Kinder abkommandiert – zur Gartenarbeit. "Das verband er mit nützlichen Erklärungen und ließ uns so an seinem enormen naturkundlichen Wissen teilhaben." Ausflüge in den Wald und einen Steinbruch gehörten stets zum Unterricht. Im Rückblick findet sich kaum ein Schüler, der nicht begeistert und voller Achtung von diesem engagierten Pädagogen spricht.

"Damals war Respekt vor Autoritätspersonen selbstverständlich. Man muss bewundern, wie der Mann das geschafft hat, mit acht Klassen", erzählt Günter Beckert beim Klassentreffen. Auch er erinnert sich lebhaft, dass die Kinder neben Lesen, Schreiben und Rechnen viel Nützliches lernten: "Pflanzenkunde, landwirtschaftliche Grundkenntnisse, sogar wie man ein Huhn schlachtet", gehörten zum lebenspraktischen Einmaleins.

Das Einklassensystem empfand Beckert sogar als hilfreich: "Was Du im einen Jahr nicht kapiert hast, hast Du im nächsten noch mal gehört." Den Abc-Schützen wurden die ersten Grundkenntnisse oft von älteren Schülern beigebracht, während der Lehrer eine andere Altersgruppe unterrichtete.

1967 wurde die Zwergschule aufgelöst und ihr Lehrer ging in den Ruhestand. 1972 erschien Gustav Werners Nachruf im Langenzenner Heimatgruß.

Es war einmal: Die Schmalzbrotbande von Keidenzell

© Fotos: Peter Budig

Diejenigen Kinder, die nach der "Achten" eine weitere Schulbildung wollten, mussten anschließend nach Langenzenn zur Schule. "Dort gab es sogenannte Aufbauzüge, die zur Mittleren Reife führten", so Günter Beckert, der danach im elterlichen Textilgeschäft in Langenzenn arbeitete. "Die neuen Klassenkameraden, die eine Schule mit Jahrgangsklassen besucht hatten", schmunzelt er, "waren auch nicht schlauer." Das sieht auch Michael Pickert so, der heute im Eigenheim in Langenzenn wohnt und lange Einkaufsleiter bei Hertie war.

Heute sind die Zwergschüler Rentner

Heute sind die Zwergschüler alle in Rente und manch einer hat sein Berufsleben nicht in Franken verbracht. Die meisten aber sind hier geblieben und manche sogar wohlhabend geworden. Friedrich Schuh war einer der ersten, der mit Bioenergie Geld verdient hat: "1992 hat der Landkreis Fürth einen Entsorger gesucht", erinnert er sich. Aus der Kompostierung von Biomüll hat Schuh mit Biogas die Energieversorgung einer Gärtnerei kreiert – und ist den alternativen Energien treu geblieben: Er fährt im Ruhestand ein Elektroauto.

Am weitesten entfernt wohnt Heinz Rotter. Nach der Schule arbeitete er erst als Landwirtschaftsgehilfe. Mittels Bayern-Kolleg erwarb er weitere Schulabschlüsse und hat später in Tübingen an der Universität als Dozent für Festkörperchemie gearbeitet. Auch er erinnert sich mit guten Gefühlen an den Lehrer Werner, "von dem ich gelernt habe, wie man einem Baum ansieht, wo Norden, Osten, Süden, Westen sind."

Immer genug zu essen

"Es war eine komische Zeit damals", erinnert sich Martha Ammon an ihre Kindheit und Jugend. "Unsere Eltern konnten sich gar nichts leisten, kein Spielzeug, kein Fahrrad und wir haben beizeiten hinlangen müssen." Andererseits, wo im Nachkriegsdeutschland alle hungerten, gab es auf dem Land immer genug zu essen: "Wir haben geschlachtet, hatten Schmalz und Fleisch." Als der Vater aus der Gefangenschaft heim kam, lebte die Familie mit vier Kindern in einem Zimmer.

Eine Frage stellt sich noch: Warum fand sich eigentlich kein Ehepaar in der Zwergschule? Monika Weber, die mit ihrem Mann eine Autowerkstatt in Langenzenn gründete, kann das erklären: "Wir haben immer gut zusammengehalten. Aber wir waren schon Jahre so eng beieinander. Jeder wusste alles über den anderen, auch die Fehler haben wir gesehen. Da wollten wir keinen von denen haben." Sie schaut sich lachend im Kreis der alten Schulkameraden um und alle tun es ihr nach.

Keine Kommentare