Fachtag in Stein: Selbstoptimierung — ein Trend mit hohem Risiko

14.10.2016, 06:00 Uhr
Fachtag in Stein: Selbstoptimierung — ein Trend mit hohem Risiko

© Foto: privat

Frau Dr. König, an sich selbst zu arbeiten, um fitter, gesünder oder produktiver zu werden, das klingt gut. Aber ist es nicht auch mit ständig steigenden Anforderungen verbunden?

Andrea König: Ich glaube, wir alle unterziehen uns derzeit einer großen Selbstausbeutung, Selbstoptimierung liegt im Trend. Dabei bringt das nicht nur Vorteile, sondern auch Gefahren mit sich. Wir versuchen, auch noch das Allerletzte aus uns rauszuholen. Darauf wollen wir mit dem Fachtag den Blick lenken. Es gibt dazu ein banales Beispiel eines Werbespots. ,Mütter nehmen sich nicht frei‘ , heißt es darin. Eine Frau schluckt abends ein Erkältungsmittel und ist am nächsten Morgen wieder topfit.

Wer krank ist, ist also selbst schuld?

König: Ja, so muss man das wohl verstehen. Darf ich es mir erlauben, krank zu sein? Vielleicht liegt es an falscher Ernährung oder zu wenig Bewegung? Wahrscheinlich habe ich nicht genügend getan — mich zu wenig optimiert.

Aber der Begriff Selbstoptimierung bezieht sich nicht nur auf das Thema Krankheit.

König: Nein, er durchzieht alle Lebensbereiche: Familie, Beruf, Privates. Nehmen wir das Arbeitsleben, dort geht der Trend wieder zu offenen Büros. Die Arbeitgeber begründen dies mit den Vorzügen der Teamarbeit. Doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben dann keine fünf Minuten mehr Privatsphäre, in denen sie einfach mal durchschnaufen können. Ständig sind wir unter Kontrolle, wie produktiv wir sind.

Wie sehr sind berufstätige Mütter dem Druck unterworfen?

König: Frauen wird nach der Geburt eines Kindes suggeriert, sie hätten die Wahl: Rückkehr an den Arbeitsplatz und ein Krippenplatz für das Kind oder längere Zeit als Mutter zuhause zu bleiben. Tatsächlich existiert diese Wahlfreiheit nur sehr begrenzt, denn es wird Druck nicht nur von Arbeitgebern gemacht, sondern auch von Angehörigen und Freunden. Man müsse sich nur gut genug organisieren, dann klappe das mit Kind und Arbeit schon.

Von welchen Auswirkungen berichten die Partnerinnen des Fachtags, die Klinik Sonnenbichl oder der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt?

König: Die Vertreterin der Klinik Sonnenbichl berichtet uns, dass früher Frauen mit Burnout oder Depressionen in die Klinik kamen, die den Belastungen zwischen Beruf und Familie nicht standhalten konnten. Jetzt sind es vermehrt Akademikerinnen, die im Beruf voll durchgestartet sind und dann nach der Geburt eines Kindes in eine Krise rutschen, oft wenn Karriere, Kind und Pflege der Eltern gleichzeitig zusammenfallen.

Irgendwann, wenn wir Rentner sind, haben wir das dann hinter uns.

König: Aber nein, dann sind wir die Silver-Ager, müssen Sprachen lernen, etwas für unsere Gesundheit tun und ständig auf Reisen gehen.

Wieso trifft das alles Frauen härter als Männer?

König: Frauen wird immer noch die Hauptverantwortung für das Gelingen der Familie zugeschrieben. Gleichzeitig sollen sie ewig jung und attraktiv bleiben. Unsere Hauptreferentin Susanne Ihsen, Professorin an der TU München, wird das Thema aus Sicht der Geschlechterforschung darstellen.

Was zu unserer Optimierung beiträgt, sind auch viele technische Spielereien, die auf dem Markt sind. Ist das Spaßfaktor oder eher zusätzlicher Druck?

König: Wenn mir ein Armband sagt, dass ich heute Nacht mehr schlafen muss oder jetzt vom Sofa aufstehen soll, um mich zu bewegen, dann ist das auf jeden Fall zusätzlicher Druck. Neu aus den USA kommen Apps zur Gamification. Arbeitgeber verteilen dabei Punkte für gute Leistungen, da wird das Spielerische in uns angesprochen, aber ist bedeutet natürlich auch permanente Überwachung.

Können wir überhaupt etwas tun, um uns den steten Anforderungen zu entziehen?

König: Darauf gibt es keine einfache Antwort. Zum einen ist das Thema ein gesellschaftspolitisches, das auch so diskutiert wird. Wir haben am großen Interesse an der Veranstaltung gesehen, dass wir damit einen Nerv getroffen haben. Individuell sollten wir achtsam mit uns umgehen und lieber etwas mehr Selbstfürsorge walten lassen als uns selbst zu optimieren. Das ist übrigens ein sehr evangelisches Thema, denn wir können unser Seelenheil nicht durch eigene Werke erarbeiten.

Für die Fachtagung am 21. Oktober ab 9.30 Uhr sind noch freie Plätze zu haben. Weitere Informationen finden sich unter www.fachstelle-frauenarbeit.de, über diese Seite ist auch die Anmeldung möglich.

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